Hiob hat aber noch nicht die Kraft, den durch keinen Gedanken und kein Flehen zu schließenden Abgrund zwischen sich und seinem Gott nicht nur zu erleiden und mit dem verhaltenen Trotz des verlassenen Kindes hinzunehmen, sondern in freier Zustimmung als eine absolut notwendige Trennung auszuhalten, die aus der antinomischen Verfassung Gottes folgt, und die Gott als den Schöpfer selbst begrenzt. Hiob und seine Freunde hätten daher den Allmächtigen aus logischen Gründen selbst dann nicht in den Kreis der Rechtsdiskutanten bitten können, wenn dieser sich auf die Friedensgruß- und Stuhlkreisliturgie der heutigen Kirchen eingelassen hätte. Sie könnten das auch dann nicht, wenn sie mit C. G. Jung vorher einem unreflektierten Gott ferndiagnostisch Soziopathie und moralische Deffizienz attestierten. Denn da Gott sich als das unendliche Wesen aus logischen Gründen endlichen Wesen niemals angemessen mitteilen kann, muss er trotz des Bilderverbotes auch in der jüdischen Bibel zur anthropomorphen Projektionsfläche für alles werden, was Menschen zur Abwehr und Sistierung von Antinomien zur Verfügung steht. Dazu gehört neben den Münchhausiaden der Philosophie die Anreicherung des Numinosen mit affektiven Dissonanzen, wie sie der Gott der Juden nicht nur im Buch Hiob zeigt, und die an der Bergpredigt aufgewärmten Kirchentagsbesuchern heute die Rationalisierung ihrer antijudaischen Affekte erleichtern.