Churban oder Die unfaßbare Gewißheit

Hannah Arendt ist tief enttäuscht darüber, daß ihresgleichen den Ausrottern nicht ständig einen heftigen Widerstand oder zumindest die Non-Kooperation entgegen­gesetzt hat. Die Philosophin findet die einzige Erklärung für diese erniedrigende Unterlassung im verbrecherischen Egoismus und in der Verblendung der jüdischen Führer, die durch ihr Zusammenwirken mit den Mördern ihrem Volk die tödlichen Gefahren verhehlt und ihm so den Weg zu den Gaskammern gebahnt haben. Bis zum bitteren Ende hätten sie die Juden mit entwaffnenden Hoffnungen getäuscht. Diese Behauptung, die die bereits erwähnte Äußerung eines unwissenden israelischen Richters wiederholt, ist ein verleumderischer Unsinn. Viele unter uns kennen die unsagbare Bitternis der Erinnerung daran, daß Millionen Männer und Frauen unseres Stammes, aller Mittel der Selbstwehr beraubt, getötet wor­den sind wie das Vieh in den Schlachthäusern. Ich habe die pathetischen, aufrichtig oder vorgeblich religiösen und nationalen Deutungen oft und laut genug zurückge­wiesen. Keine tröstliche Erklärung kann der quälenden Unruhe der Überlebenden ein Ende setzen und ihnen erlauben, zu vergessen, daß gestern noch ihre Geburt sie ohne Berufung dazu verurteilte, in grenzenloser Entwürdigung, verstoßen und schutzlos, ihren Tod zu erleben, ehe sie ihn sterben mußten. Nur ein gar zu gefällig versagendes Gedächtnis könnte uns verhehlen, daß die Erde sich unsern Füßen verweigerte, selbst als sie noch fest blieb unter den Schritten unserer besten Freunde, die alles mit uns gemein hatten – alles außer unserer Abstammung.

Alle Ausgaben

→ Jetzt Abo abschließen

Newsletter

Gerne informieren wir Sie über Neuerscheinungen, Vortragsveranstaltungen, Rezensionen usw. usf. auch via E-Mail. Hierzu können Sie sich in unseren Newsletter eintragen. 
Ihre Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Ihre Anmeldung war erfolgreich!
magnifiercrossmenuarrow-up