Briefe: G. Anders, G. Fischer, M. Horkheimer, L. Löwenthal, A. Löwith, K. Löwith

Lieber Herr Stern,
Vielen Dank für Ihren Brief von Mitte Dezember. … In den Sommerferien und Herbst, die durch Krankheiten unterbrochen waren – die 50er Jahre sind ein schlechtes Alter für beide Geschlechter – schrieb ich endlich eine längst geplante Abhandlung über Heidegger, deren I. Teil in diesen Tagen in der »Neuen Rundschau« (Frankfurt) erschienen sein dürfte. Der II. Teil (über Heideggers Geschichtsbegriff) soll im nächsten Heft folgen. Mit Rücksicht auf meine künftige akademische Tätigkeit in Heidelberg, wo die begabten Studenten auch eher verheideggert sind, so wie man einst verhegelt war, hielt ich mich dabei innerhalb des akademischen Tons, wenn auch nicht Jargons. Unheimlich ist und bleibt dieser kleine große Mann und da sonst niemand da ist, ist seine Wirkung allbeherrschend. Vor 1 Jahr etwa schrieben Sie mal vom Wiener Opernleben und dass die […] das hohe Cis halte – sie tut es nun mit großem Erfolg an der Metropolitan in New York. Ist es nicht allzu deprimierend, in dem verendenden Wien zu leben? Also pflegen Sie sich so gut als möglich und kommen Sie in das hübsche Alpbach mit Ihrer Frau.
Herzliche Grüße von uns beiden Ihr Karl Löwith

Lieber Herr Löwith:
Ich hatte gerade diesen Bogen eingespannt, als mir meine Frau die »Neue Ztg.« mit dem Teilabdruck Ihres Rundschauaufsatzes brachte (Über Heidegger’s Sprache.) Wie sehr ich mit dieser Kritik einverstanden bin, wissen Sie ja. Dass H. viele der Schätze, die er aus dem Brunnen der deutschen Sprache herausfischt, Tags zuvor selbst hineingeworfen hatte, hatte ich auch schon immer vermutet. Oft kommt er mir vor wie ein Archäologe, der sich durch Ausgrabung selbst hergestellter und selbst eingebuddelter »Frühwerke« mehr oder minder bona fide selbst betrügt. Unbegreiflich dieses Insistieren auf der »Wahrheit« der deutschen Sprache – was daraus spricht, ist heute, im Zeitalter der Weltweite und der Kulturvergleichung, nicht einfach ein philosophisches Missverständnis, sondern bäurische Halsstarrigkeit … er wird dadurch zu einem Heimatdichter des Absoluten, zu einer durch und durch vorhegelischen Figur, denn eine Einzelsprache ist ja im besten Falle nur eine Facette des Weltauges, im schlechtesten Falle einfach kontingent. Was Plato im Philebus vielleicht noch hatte tun dürfen, ist heute schlechthin komisch. – Zugleich ist natürlich seine Überzeugung, dass die Frühphase der Sprache (jede Frühphase überhaupt) »offenbart« – eine säkularisierte Offenbarungstheologie – die folgende Sprachgeschichte läuft dann eben einfach auf eine Verkümmerungschronik heraus. Wie schrecklich abhängig … polemisch abhängig … er doch vom Fortschrittsbegriff ist! Und wie ungeheuer gut, philosophisch gut, uns allen das Reisen getan hat. Der Philosoph ist eben nicht nur ein Bergwerker, sondern auch ein Seefahrer und von keinem Typus ist Heidegger so weit entfernt wie von diesem. Schon 1924 hatte ich mit ihm darüber ein erbittertes Gespräch; in der Erinnerung scheint es mir, als sei er damals wütend darüber gewesen, statt Wurzeln Füße zu haben. …
Nun noch einmal unsere Glückwünsche! Gute Reise und guten Beginn!
Mit herzlichen Grüßen, auch an Ihre Gattin, auch von meiner Frau,
Ihr [Günther Anders]

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