Wolfgang Treitler

Wolfgang Treitler

Erinnerung an Aharon Appelfeld

Heft 12, Frühjahr 2018 Parataxis

1941 waren er und seine Eltern bei der Großmutter in den Karpaten auf Sommerurlaub. Da kamen Leute der SS, holten die vier aus dem Haus, erschossen die beiden Frauen, transportierten den Buben und seinen Vater ab, trennten sie und brachten sie in unterschiedliche Deportationslager. Erst in den späten 1950er Jahren fanden sie einander in Israel wieder. Dem neunjährigen Erwin war die Flucht gelungen; drei Jahre trieb er sich durch Wälder und überlebte. Mit der Roten Armee kam er schließlich nach Italien und von dort nach Eretz Israel in ein Jugendlager. Das hieß: zumindest neuer Vorname – Aharon, vor allem aber vormittags Hebräisch lernen und nachmittags Feldarbeit. In seinem Buch Geschichte eines Lebens erinnert sich Appelfeld an dieses Erlernen der für ihn völlig fremden Sprache: »Ich möchte vorausschicken: Die formale Sprache habe ich schnell und ziemlich leicht erworben, am Ende des ersten Jahres lasen wir schon Zeitung, doch dieser Spracherwerb war mit keiner Freude verbunden. … Und natürlich gab es noch ein anderes Dilemma: Die Sprache meiner Mutter war die Sprache ihrer Mörder. Wie konnte man weiter eine Sprache sprechen, die mit dem Blut der Juden getränkt war? Dieses furchtbare Dilemma konnte aber dem Gefühl nichts anhaben, dass mein Deutsch nicht die Sprache der Deutschen war, sondern die meiner Mutter, und ich war mir sicher, wenn ich Mutter wiederfände, würde ich mit ihr in der Sprache weiterreden, in der wir immer miteinander gesprochen hatten.«

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