Werner Fleischer

Werner Fleischer

»Nie hätten wir uns vorstellen können…«

Gegenaufklärung statt Kunst: Über die antisemitische documenta fifteen

Heft 21, Winter 2023 Parataxis

Die von Saul Friedländer in seinem Buch Kitsch und Tod ausgewiesenen Faktoren des Kitsches waren allesamt auf der documenta fifteen zu bestaunen. Eine archaische Utopie und die böse Moderne. Ein Ritus des Übergangs, der Initiation. Ein Geburtsakt der Reinigung. Uralte Kulte, legendäre Völker. Die Wurzel gegen das Wurzellose. Das Nicht-Erwachsen-Werden. Der Appell an vergangene Mythen, die eine immerwährende Gegenwart verkünden sollen. Trommeln und Blasmusik nahmen bei der Eröffnung den Singsang vieler Beiträge vorweg, der Gebeten ähnlich von der Öffentlichkeit besonders gepriesen wurde. Dem Kitsch stand als passendes Gegenstück und »Kurzschlussverbindung«, als »Juxtaposition«, die Ästhetisierung historischer Ereignisse in Bildern der Faszination von Tod und Zerstörung zur Seite. Die Bilderarrangements der Kollektive, die wie der Geist aus der Flasche immer weitere Kollektive mobilisierten, und sich schon in der bloßen Zahl als eine Masse (circa 1500 Künstler, wieviel es tatsächlich waren, weiß keiner), als eine Macht exponierten, ästhetisierten das Elend der Armen und Unterdrückten als apokalyptische Vision eines Endkampfs zwischen Böse und Gut. Die von der Gruppe Subversive Film veranstaltete Filmreihe Tokyo Reels wurde mit dem Kunstlabel einer Dokumentation im Arthouse-Kinosaal versehen, um den Mord an Juden auf dem Tel Aviver Flughafen durch japanische Antisemiten als Heldengeschichte des ›Widerstands‹ legitimieren zu können. Eine aktualisierte Version von Kitsch und Tod, Widerschein des Nazismus, so der Untertitel von Friedländers Buch, reichte bis in die Gegenwart nach Kassel, ins Jahr 2022, im dortigen Ringelreihen auf der Halfpipe und dem Aufruf ›Free Palestine‹.

Werner Fleischer

Forget Fear

Die Berlin Biennale 2012 und ihr Kampf gegen Israel

Heft 01, Herbst 2012 Parataxis

Die »Bewegung«, um die es Żmijewski bei der Biennale ging, »soll erklären, dass der Holocaust endlich vergeben ist, damit die auf Schuldgefühlen basierende Politik der europäischen Länder ein Ende hat«. So führte man bei dieser Biennale inmitten der Eurokrise zugleich »eine deutsche Debatte« – und ihre Atmosphäre ist die gute Stube mit viel Nippes als universelles Mittel, die allgegenwärtige Angst zu vergessen: die Privatisierung der Geschichte; eine auf Intimität getrimmte Verhöhnung der Opfer der Shoah, das Leben als Kitsch, der in Versöhnung der Täter mit sich selbst kulminiert und folgerichtig Israel ins Visier nimmt. Die Biennale ist nicht so sehr Attacke gegen den sogenannten Neo-Liberalismus, den man der EU zum Vorwurf macht, als die Abschaffung des Privaten als privatistischer Akt, der genau der Souveränitäts-Krise europäischer Politik entspricht. Die »Bewegung« ist die Gemeinschaft der unentwegt verfügbaren Privaten. In anderen Worten: die Totalität der Kulturindustrie enthält, je privater sie sich vollzieht, umso weniger noch ein Residuum dessen, was ästhetische Erfahrung gegen die Angst vermöchte.

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