Thorsten Fuchshuber

Thorsten Fuchshuber

Pogrom und eliminatorischer Antisemitismus

Über sexuelle Gewalt, Lust und Aggression am 7. Oktober

Heft 24, Sommer 2024 Essay

Es gibt eine Tradition des antijüdischen Tötungsfestes, das Pogrom ist der genuine Ausdruck einer antisemitischen Festkultur. Und immer war das Judenmorden auch von Aufwallung und Begeisterung begleitet, was sich ja schon in dem schrecklichen Wort »Pogromstimmung« ausspricht: Die temporäre Aufhebung des Gewaltverzichts stand im Zentrum des transgressiven Moments dieser antisemitischen Festkultur. Werner Bergmann hat sich an einer »Soziologie des Pogroms« versucht und kommt dabei auch auf dessen rituellen Charakter zu sprechen. Demnach sind Pogrome Formen rituellen Handelns, in denen es um die »Reinheit der Gesellschaft« gehe. Pogrome seien »Rituale der Gewalt«, »in denen die sonst geltenden Regeln und Hierarchien zeitlich begrenzt außer Kraft gesetzt oder gar auf den Kopf gestellt werden«, in denen die sonst geltende soziale Ordnung »für einen Moment verflüssigt« wird. Auch Adorno und Horkheimer schreiben in der Dialektik der Aufklärung: »Der Antisemitismus ist ein eingeschliffenes Schema, ja ein Ritual der Zivilisation, und die Pogrome sind die wahren Ritualmorde.«

Thorsten Fuchshuber

Jargon des Ausnahmezustands: Pandemie und Staatssubjekt Kapital

Heft 17, Winter 2021 Parataxis

War Victor Adler damals sichtbar bemüht, die Choleraepidemie von 1892 und den Versuch ihrer Eindämmung innerhalb des Verhältnisses von Staat und Kapital zu deuten, findet man bei den Kritikern der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie heute davon in der Regel keine Spur. Stattdessen wird unter Verweis auf Michel Foucault, Carl Schmitt und Giorgio Agamben über den Ausnahmezustand geschrieben, als habe es nie eine Kritik der politischen Ökonomie gegeben. So kommt es dann auch, dass die sozialen Auswirkungen der staatlichen Pandemiebekämpfung in solchen Texten nicht selten nur Randnotizen bilden, obwohl gerade in dieser Hinsicht vieles skandalös war und auch weiterhin ist. Die Aufarbeitung all dessen scheint für die Staatskritiker vom Schlage Agambens kaum von Interesse zu sein. Das liegt indes nicht allein daran, dass dergleichen detailreich und daher mühsam ist, was im Übrigen auch für die Frage gilt, wie umfassend die oft behauptete Präzedenzlosigkeit der Einschränkung oder gar Aufhebung der bürgerlichen Grundrechte im Einzelnen und je nach Land tatsächlich war. Das Desinteresse für die mit der Seuche »in voller Deutlichkeit« hervortretenden sozialen Zustände der Gesellschaft, »die sie längst kennt, aber vor denen sie gewaltsam die Augen zu schliessen gewohnt ist« (Victor Adler), ist durchaus systematisch und konsequent.

Thorsten Fuchshuber

Flaschenpost von »Teddy«: Adorno als Objekt der Kulturindustrie

Heft 15, Herbst 2019 Parataxis

Solange das Zusammenspiel von Weltmarkt und Finanzmärkten die Erfüllung der »Sehnsucht nach Autarkie« und des mit ihr verbundenen Vernichtungswahns noch nicht greifbar erscheinen lässt, bleibt dem Rechtsradikalismus also außenpolitisch offenkundig auch unter veränderten Rahmenbedingungen weiterhin wenig Spielraum, um sich markant von der deutschen Regierungspolitik zu unterscheiden. So verlegt man sich auch auf diesem Terrain auf den begleitenden Kulturkampf. Wo sich das Racket der Deutschen nicht zum alles beherrschenden Racket erheben kann, soll vorweg die Welt der Herrschaft der Rackets unterworfen werden. Nicht nur bei der AfD mit ihrem außenpolitischen Grundprinzip der Nichteinmischung findet sich Zustimmung für das regierungsoffiziell immer wieder gern auch als außenpolitische Zurückhaltung und ‚Besonnenheit‘ verkaufte Provinzialisierungsprojekt zur kultursensiblen Schaffung möglichst vieler vom US-Hegemon befreiten Zonen. … Die heutige außenpolitische Praxis Deutschlands und die von Adorno damals analysierte »angedrehte Provinzialisierung« der Neuen Rechten sind aus mancherlei Perspektive also gar nicht so weit voneinander entfernt, wie man es sich unter Verweis auf die wehrhafte Demokratie und ihre Institutionen einreden will. Aktuell ist Adorno eben auch dort, wo man es gar nicht gerne sieht.

Thorsten Fuchshuber

Universalismus gegen Israel oder: Warum Alain Badiou zum Imam der Linken wurde, die den Terror legitimieren

Heft 09, Herbst 2016 Parataxis

Die Auslöschung Israels wird so zu einem ethischen Imperativ im Namen der universellen Menschenrechte und der Demokratie, der gegen den von Adorno formulierten kategorischen gewendet ist. Badiou zufolge ist es »unvernünftig«, sich als Konsequenz aus Auschwitz irgendetwas aufzwingen zu lassen, geschweige denn, einen kategorischen Imperativ, der nichts anderes meinen kann als die Solidarität mit Israel und die Verteidigung jener gesellschaftlichen Institutionen, die der Wiederholung des Judenmordes im Wege stehen: »Ich will nur sagen, dass man dieses Werden [Israels] nur rationell denken kann, wenn man aufhört, seine Existenz zu rechtfertigen, die sich – egal was man davon denkt – auf dem Rücken der Palästinenser gründet, durch das kontinuierliche Erwähnen der düsteren Episoden der europäischen Geschichte.« Badiou beruft sich hier ganz zurecht auf die Rationalität, denn schließlich geht es ihm darum, das der Rationalität entzogene, Hinzutretende abzutun, jene von Adorno benannte »somatische, sinnferne Schicht des Lebendigen«, »Schauplatz des Leidens« in den Lagern.

Thorsten Fuchshuber

Meister der Rackets: Die Russische Föderation unter der Herrschaft von Wladimir Putin

Heft 07, Herbst 2015 Essay

Mancher Satz von ihm erinnert an Carl Schmitt: »Wenn Demokratie Staatszerfall bedeutet«, so Wladimir Putin im September 2003 im Gespräch mit Korrespondenten der Washington Post, »dann brauchen wir keine solche Demokratie«. Der russische Staatspräsident lässt nicht nur an Schmitt denken, weil ein solcher Satz sich mühelos einfügen ließe in das Denkgebäude des Theoretikers der Konterrevolution. Der zitierte Satz darf auch in ganz praktischer Hinsicht als paradigmatisch gelten für die Inszenierung einer Politik des starken Staats, die als »System Putin« bekannt geworden ist, und die sich, analog zur Rechtslehre Schmitts, auf die Formel bringen lässt: »Souverän ist, wer die Ordnung herstellt«; einer Politik, die zunächst den Eindruck erweckt, Putins vermeintlich starker Staat stehe gegen einen Zerfall der Gesellschaft in Rackets, wird das Racket doch unter anderem mit der Auflösung des Staates, mit einander bekriegenden Banden und dem Chaos des »Unstaats« in Verbindung gebracht. Gerade eine solche Situation fand Putin vor, als er das Amt des Präsidenten der Russischen Föderation antrat. Offenkundig hat sich seither einiges geändert. Doch bleibt die Frage, welche Ordnung Putin geschaffen hat und mit welchen Mitteln. Und: Ist Putin also ein Anti-Racketeer?

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