Theodor W. Adorno

Theodor W. Adorno

Laienkunst – organisierte Banausie?

Heft 17, Winter 2021 Essay

Das ästhetisch Schlechte ist aber immer zugleich auch Index der Unwahrheit der Sache selbst, so wie Sartre in einem seiner Essays sehr schön, und, ich glaube, sehr tief geschrieben hat, daß man für eine Sache wie den Antisemitismus auch bei scheinbar großer Begabung einen ästhetisch guten Roman in Wahrheit gar nicht schreiben könne. Das gilt auch hierfür. Und diese Insuffizienz teilt sich dem Sozialen auch mit, weil nämlich durch diese Sphäre des Musischen die Neobarbarei nicht etwa geändert, sondern bestätigt und verschleiert wird, weil der Geist dieser Bewegungen, dieser retrograden Bewegungen, zu dem objektiven Stand des Geistes einer eminenten Entwicklung nach – und das heißt hier wesentlich seiner technologischen Entwicklung nach – in einen schroffen Widerstand tritt und daher die reaktionären Implikationen der musischen Bewegungen, die wir im Dritten Reich erfahren haben, wobei dabei der Antiintellektualismus, der Haß gegen jede Art von Selbstbesinnung, entscheidend ist. Selbstverständlich hat die Kunst dem unterdrückten Unbewußten zur Sprache zu verhelfen. Aber es ist ein Unterschied, ob sie das so tut, daß sie nun dem Unbewußten und Dumpfen eine Art blinder Herrschaft über den Geist einräumt, oder ob sie dadurch, daß sie gerade das Unbewußte ins Bewußtsein erhebt, der Natur zu ihrem Recht verhilft, anstatt in einer Art von umgekehrter Psychoanalyse womöglich das Bewußte nun auch noch den Zwangsmechanismen des unterdrückten Unbewußten anzugleichen.

Theodor W. Adorno

Haltung zur »existentialistischen« Theorie

Aus den Bemerkungen zu The Authoritarian Personality

Heft 16, Sommer 2020 Essay

Im ersten Abschnitt haben wir die höchst anregende Studie »Portrait of the Anti-Semite« von Jean-Paul Sartre erwähnt. Von allen uns bekannten philosophischen Erörterungen des Problems kommt diese unserer eigenen Interpretation des Antisemiten am nächsten. Nichtsdestotrotz gibt es mit Blick auf einige der fundamentalen philosophischen Begriffe deutliche Unterschiede zwischen uns und Herrn Sartre. Verblüffend ist, wie Sartres Ausführungen, von denen wir erst Kenntnis bekamen, nachdem wir bereits damit begonnen hatten, unsere endgültigen Ergebnisse zu verschriftlichen, mit unsrer eignen Interpretation sich deckt, teils bis in konkreteste Details von der Sorte, die in der Regel nur von empirischen Untersuchungen zu erwarten wären. Obwohl seine Terminologie ganz anders ist als unsere, ist die zentrale Einsicht beinah dieselbe.

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