Stephan Grigat
Denker der Subversion
Agnolis (Post-)Faschismuskritik und die repräsentative Demokratie
Es gilt, den Unterschied zu betonen, der zwischen einer auf einen Verein freier Menschen abzielenden Staats- und Demokratiekritik und faschistischer Verachtung für Parlament, Gewaltenteilung und gesellschaftlicher Vermittlung besteht. Agnoli hat die im Verfassungsstaat in aller Regel garantierten Freiheitsrechte nach dem Zweiten Weltkrieg stets hochgehalten und nicht zuletzt gegen die stalinistischen Teile der Linken in der Bundesrepublik verteidigt. Er stellt sich mit seinem Beklagen des Souveränitätsverlustes ›des Volkes‹ nicht in die Tradition von Carl Schmitt, die in der autoritär konzipierten ›direktdemokratischen‹ Rhetorik in und im Umfeld der AfD und ähnlicher Parteien heute auf die politische Bühne zurückkehrt, sondern in jene des radikaldemokratischen jungen Marx. Möglich wird das jedoch nur durch die weitgehende Ignoranz Agnolis gegenüber den geschichtsphilosophischen und revolutionstheoretischen Implikationen des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs, die in einem auffälligen Widerspruch zu seinen Ausführungen über das Fortwesen faschistischer Krisenlösungsmodelle steht.
Stephan Grigat
Persistenz des Antizionismus
Neuere Publikationen über Zionismus, die Linke und das iranische Regime
Auch Michael Brenner streicht die Differenzen zwischen Jabotinsky und seinen heutigen Erben heraus. In seiner bei C.H. Beck erschienenen, ausgesprochen instruktiven Studie zu den diversen Konzeptionen jüdischer Staatlichkeit in den früh-zionistischen Strömungen und zum Spannungsverhältnis zwischen der Sehnsucht nach Normalität und der notwendigen Sonderstellung Israels zeigt er, dass Jabotinsky zwar unbedingt dafür war, die jüdische Einwanderung nach Palästina auch gegen den Willen der arabischen Bevölkerung durchzuführen und die Gründung des Staates Israel mit aller Gewalt durchzusetzen, gleichzeitig aber mehrfach die Notwendigkeit betonte, der arabischen Minderheit in dem zu gründenden jüdischen Staat gleiche Rechte zu geben. Brenner verdeutlicht, dass Jabotinskys Konzeption des zukünftigen Staates letztlich trotz aller Unversöhnlichkeit gegenüber den arabischen Feinden des zionistischen Projekts keineswegs auf einen »rein jüdischen Nationalstaat« hinauslief.
Stephan Grigat
Frühling für Iran-Appeaser
Der westliche Wille zum Verhandeln mit Hassan Rohani und die Restabilisierung des iranischen Regimes
Tatsächlich handelt es sich bei den Pasdaran um keine staatliche Institution im klassischen Verständnis, sondern, ganz im Sinne eines »Doppelstaates«, um eine revolutionäre Streitmacht, die neben der regulären staatlichen Armee agiert und sich in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Wirtschaftskonglomerate des Landes gemausert hat. Als revolutionäre Institution habe sie sich in den Augen Sharifs keineswegs nur um militärische Belange zu kümmern. Khomeini habe ihre »Pflicht, die Revolution zu verteidigen«, die auch in der iranischen Verfassung festgeschrieben ist, nicht auf »bestimmte Bedrohungen oder Bereiche« beschränkt, woraus sich die Legitimität der Einflussnahme in sämtlichen gesellschaftlichen Belangen und Institutionen ergäbe. Sharif erklärt zwar die Bereitschaft der Revolutionswächter, die neue Administration ebenso zu unterstützen wie alle bisherigen, lässt allerdings sehr deutlich durchblicken, was er von einer Zurückdrängung des Einflusses der Pasdaran im ökonomischen Sektor hält: nämlich gar nichts.
Stephan Grigat
Magyarische Mobilisierung
Autoritäre und völkische Krisenbewältigung in Ungarn
Es mag sein, dass die EU trotz der Ablehnung des Verfassungsvertrags 2005 de facto mittlerweile eine Verfassung hat, »der sich die Mitgliedsstaaten freiwillig unterwerfen«, wie Jan-Werner Müller schreibt. Doch die entscheidende Einschränkung, die er selbst hinzufügt, wird vom Politikwissenschaftsprofessor nicht weiter expliziert: »auch wenn Brüssel bei Nicht-Einhaltung des Rechts keine Polizei oder gar Militär in das entsprechende Land schicken kann.« Weil sich das so verhält, ist derzeit eine Situation wie in den USA 1957, als Bundestruppen und Nationalgarde unter Bundesbefehl den Schulbesuch von schwarzen Schülern gegen den militanten Mob der Provinzrassisten auf Befehl Washingtons hin durchsetzten, schlicht nicht vorstellbar. Es wird keine europäischen Bundestruppen geben, die Roma in Gyöngyöspata oder anderen Orten vor rassistischen Mordbrennern notfalls mit aufgepflanztem Bajonett in Schutz nehmen, wenn sich die Orbán-Regierung als unfähig oder unwillig erweist, das zu tun.
Stephan Grigat
20 Jahre Friedensprozess gegen Israel
Von Oslo zur iranischen Bombe
Das revolutionäre Moment des Zionismus besteht in der Etablierung und Sicherung eines souveränen Kollektivs zum Zwecke der Selbstverteidigung gegen den Antisemitismus. Doch einerseits hat Israel seine Souveränität trotz aller Widrigkeiten und gegen alle Vernichtungsversuche seit über 60 Jahren verteidigen können, andererseits aber ist Israel nicht in der Rolle eines Welthegemons, weshalb sich seine Souveränität stets an den Interessen der übermächtigen Verbündeten relativiert. So gesehen kann Israel trotz aller Rhetorik, sich stets und immer nur auf sich selbst verlassen zu wollen, nie vollständig aus der Rolle des »Schutzjuden« heraus, wie die Initiative Sozialistisches Forum schon 1992 festgestellt hat: »Von der BRD zwecks Wiedergutmachung nicht der Vernichtung, sondern der Nation einstweilen hofiert, von den USA bislang subventioniert, als einzige bürgerliche Demokratie im ›Trikont‹ vom Westen privilegiert, ist Israel zugleich doch völlig von den strategischen Interessen der amerikanischen Weltmarktpolizei abhängig. Israels ›Privilegierung‹ ist die genaue Kehrseite seiner existentiellen Bedrohung.« Israel muss in dem Zwiespalt existieren, sich einerseits als Souverän zu setzen und für sich zu reklamieren, vollkommen eigenständig zu handeln, aber es kann de facto niemals vollkommen eigenständig agieren.