Philipp Lenhard

Philipp Lenhard

Undefinierbar

Die jüngsten Debatten um die „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ sind eine Farce

Heft 16, Sommer 2020 Parataxis

Wohlgemerkt: Es lässt sich sehr vieles über die Mechanismen und die Funktionsweise des Antisemitismus sagen, auch eine historische Genealogie lässt sich aufzeigen, nicht zuletzt auch lassen sich verschiedene Erscheinungsformen in typisierter Form benennen. Eine Definition aber verlangt Eindeutigkeit, wo doch gerade deren Gegenteil – nämlich das »Gerücht über die Juden« (Adorno) – die Anziehungskraft und Wirkungsmacht des Antisemitismus ausmacht. Insofern ist es gar kein Zufall, dass die »Arbeitsdefinition« so vage und unspezifisch ist. Die vielen Beispiele für Antisemitismus, die sie an den Haupttext anschließend aufführt, machen ihr Scheitern nur noch offensichtlicher. Wäre die Definition gelungen, dann bräuchte es keine Beispiele, weil jeder entsprechende Fälle ohne Weiteres aus der allgemeinen Bestimmung ableiten könnte. Dass aber gerade dort, wo in der Arbeitsdefinition der Antisemitismus als »bestimmte Wahrnehmung von Juden« bezeichnet wird, jede nähere Bestimmung ausbleibt, liegt nicht an den mangelnden wissenschaftlichen Fähigkeiten derer, die den Satz formuliert haben, sondern am unverfügbaren, sich jeder begrifflichen Rubrizierung entziehenden Wesen des Phänomens selbst.

Philipp Lenhard

Blinder Fleck?

Eine kurze Erwiderung auf Gerhard Scheit

Heft 08, Frühjahr 2016 Parataxis

Ist die gemeinsam von Friedrich Pollock und Max Horkheimer entwickelte Staatskapitalismusthese der »blinde Fleck der Kritischen Theorie«, wie Gerhard Scheit im letzten Heft der sans phrase konstatiert hat? War sie, wie er formuliert, nur eine Theorie der Innenpolitik, die den latenten Kriegszustand, in dem Staaten sich befinden, »verdrängt«? War das Institut vor 1933 wirklich unfähig, die seinerzeit verbreiteten Illusionen über die friedenserhaltende Macht des Völkerbundes zu durchschauen, wie Scheit behauptet? Wenn im Folgenden diesen Fragen nachgegangen wird, so ist dies nicht als Kritik an Scheits Ausführungen über internationales Recht und Israelfeindschaft miss zu verstehen, mit denen sich der Autor in vollstem Einverständnis befindet. Vielmehr geht es darum, ob die Staatskapitalismusthese zu diesen Ausführungen im Widerspruch steht und ob sie für eine Kritik der gegenwärtigen Gesellschaft fruchtbar zu machen ist.

Philipp Lenhard

»In den Marxschen Begriffen stimmt etwas nicht«

Friedrich Pollock und der Anfang der Kritischen Theorie

Heft 05, Herbst 2014 Essay

Wie auch immer man zu den einzelnen Urteilen Pollocks stehen mag, so war er doch der erste, der erkannt hat, dass die alten analytischen Kategorien ihre Bedeutung verloren hatten und der Kritiker mit einer qualitativ neuen, noch ungekannten Ordnung konfrontiert war. Wie dieser Ordnung entgegenzutreten war, das war für Pollock noch nicht entschieden. Zunächst einmal konnten er und seine Mitstreiter das, was sie vor sich sahen, nur so akkurat wie möglich analysieren. Der Text Die bessere Ordnung stellt deshalb ein Zeugnis des Innehaltens und Nachdenkens über die Gegenwart und Zukunft der Kritik dar.

Philipp Lenhard

Liebe als Einspruch

Nadeem Aslams Porträts islamischer Gesellschaften

Heft 03, Herbst 2013 Essay

Die stärkste These Aslams, die auch in seinen anderen Büchern präsent ist, lautet: So totalitär und buchstäblich wahnsinnig die Verhältnisse auch sein mögen – wo Liebe ist, da gibt es noch Hoffnung, weil die Liebe an die Existenz von Individuen gekoppelt ist. Das Individuum ist, trotz seiner mit Gewalt und Unterdrückung verbundenen historischen Genese, eine Gestalt ganz eigener Dignität, eine Form des Menschseins, die im Widerspruch zur Unfreiheit steht und auf das Bessere verweist, dessen Einlösung immer noch aussteht. Individuum zu sein, kann man sich nicht aussuchen, aber es bedarf in schlechten Verhältnissen der permanenten Anstrengung, es zu bleiben. Insofern ist auch die Liebe nicht nur ein Gefühl, sondern ein Verhalten, gesellschaftliche Praxis. Sie ist sowohl Rückzug ins Private, Dissoziation von der Öffentlichkeit, als auch eine positive Entgrenzung des Ich, das seine beschränkte Hülle im Schutz der Zweisamkeit transzendiert, und sich gerade darin als Individuum, das nach Glück sucht, erhalten kann.

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