Oshrat Cohen Silberbusch

Oshrat Cohen Silberbusch

Rire à tout prix?

Theodor W. Adorno wider die falsche Versöhnung

Heft 11, Herbst 2017 Essay

Lachen über den Nazismus nimmt die Gefahr, die an Aktualität nichts eingebüßt hat, nicht ernst und macht sich dadurch zum Komplizen der Kräfte, die nur darauf warten, zurück ins Tageslicht zu treten. Der Vergleich mit dem braven Soldaten von Hašek macht deutlich, dass die Geschehnisse zwischen 1933 und 1945 für Adorno etwas nie Dagewesenes darstellen, eine neue Ordnung von solch grenzenlosem Schrecken, dass das Lachen darin nichts mehr zu suchen hat. Während Schwejk noch Schlupfwinkel fand, in denen Lachen trotz allem möglich blieb, ist das nazistische Grauen total – totalitär. Man kann ihm nicht entrinnen. »Daher ist der Spaß des Faschismus, den auch Chaplins Film registrierte, unmittelbar zugleich das äußerste Entsetzen.« Äußerst, weil ausweglos. Lachen jedoch benötigt einen Ausweg. Darum sah sich Roberto Benigni gezwungen, in seinem Film Das Leben ist schön Auswege herbeizuzaubern. So zum Beispiel, wenn Guido, die Hauptfigur des Films, die Lautsprecher des Lagers benutzt, um seiner Geliebten Liebesworte zu übermitteln, und dadurch einen Schlupfwinkel bildet, der im Zuschauer gerührtes Lachen provoziert. Doch der Schlupfwinkel ist erlogen, in der Lagerrealität undenkbar. Und so wird der Film selbst zur Lüge.

Oshrat Cohen Silberbusch

Am Ende der Dialektik

Jean Améry und Theodor W. Adorno

Heft 05, Herbst 2014 Essay

Dass Améry dem dialektischen Denken tatsächlich viel näher stand, als die Lektüre seines Jargons der Dialektik nahelegen könnte, wird all jene, die mit Amérys Werk ein wenig vertraut sind, nicht überraschen. Sein Misstrauen gegen absolute Wahrheiten war viel zu groß, als dass er sich nicht angezogen gefühlt hätte von dieser Philosophie der immerwährenden Bewegung des Denkens. Seinen autobiographischen Essay nannte Améry Revision in Permanenz, einer Sammlung von Essays gab er den Titel Widersprüche. In seiner Dankesrede zur Verleihung des Lessing-Preises heißt es: »In keiner meiner Schriften, ja kaum in einem einzigen Satz, den ich niederschrieb, sind nicht Spuren von Dialektik nachweisbar«, und noch radikaler in seinem Nachwort zu seinem Roman-Essay Lefeu: »Kaum ist ein Gedanke gefasst, stellt auch schon der Widerspruch sich ein, den ich nicht ersticke, sondern so lange hege, bis er mir die erlangte Idee umgebracht hat.« Nein, Améry ist kein Feind der Dialektik, im Gegenteil. Doch er misstraut den Dialektikern, sodass letzten Endes die potentielle Gefahr der Dialektik in seinen Augen die Übermacht gewinnt über ihre Chancen. Während Adorno genau umgekehrt die Chancen der Dialektik sieht vor ihren Gefahren. Diesen grundlegenden Unterschied möchte ich an zwei Zitaten veranschaulichen, in denen tote Hasen eine zentrale Rolle spielen. Tote Hasen, die, wie wir sehen werden, die Differenz zwischen Améry und Adorno erstaunlich gut illustrieren.

Oshrat Cohen Silberbusch

Wir Eichmannsöhne?

Günther Anders und die Shoah

Heft 02, Frühjahr 2013 Essay

Günther Anders, so scheint es auf den ersten Blick, hat sich für die Shoah letztlich wenig interessiert. Das Ereignis, das seinen eigenen Worten zufolge sein Denken nachhaltig geprägt hat, ist nicht Auschwitz, sondern Hiroshima: dass »der 6. August 45, also Hiroshima, einen Einschnitt bedeutet hat, ist unbestreitbar. Diese Zäsur war wohl die schärfste in meinem Leben…« Ein Blick auf sein Werk bestätigt dies: Hiroshima ist allgegenwärtig, und Auschwitz, bleibt ganz in dessen Schatten. Anders war damit gewiss nicht allein: In den 1950er und 1960er Jahren wurden Auschwitz und Hiroshima oft beinahe reflexartig in einem Atemzug genannt, als wäre der Hinweis auf die Atombombenabwürfe in Japan die Bedingung der Möglichkeit, über die deutschen Vernichtungslager zu sprechen.

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