Niklaas Machunsky

Niklaas Machunsky

Das alltägliche Auschwitz

The Zone of Interest und der antizionistische Revisionismus

Heft 24, Sommer 2024 Parataxis

Glazers Film nivelliert das Besondere der Shoah, und macht sie zu einem Allerweltsereignis. Die Täter werden als ganz normale Menschen dargestellt, die sich in keiner Hinsicht von uns unterscheiden. The Zone of Interest reagiert damit auf die alten Rechtfertigungsstrategien, die die Nazis zu Monstern und Hitler zum großen Verführer, mit der Fähigkeit Massen zu verzaubern, verklärten. Dieser mythisch-verklärenden Sichtweise stellt Glazer einen bewusst nüchternen Blick entgegen. Er verzichtet darauf, das Phänomen des Nationalsozialismus mit Rekurs auf dessen eigene Mythologie zu erklären. Doch diese bewusste Enthaltsamkeit führt zu einer neuen Form, die Shoah zum Verschwinden zu bringen und eröffnet die Möglichkeit, andere Verbrechen aus Geschichte und Gegenwart für sie einzusetzen. Die Verklärung von Auschwitz zu einer Metapher für Massenverbrechen und seine Austauschbarkeit folgt jedoch einer inneren Logik, die einer beliebigen Verwendung entgegensteht. Auf dem Rangierbahnhof der Metaphern können zwar die unterschiedlichsten Orte, Personen und Taten gegeneinander ausgetauscht werden. Aber schon in der Zwanghaftigkeit, mit der der Film vom Antisemitismus absieht, kündigt sich die antizionistische Logik der Umbesetzung, als der zeitgemäßen Form der Täter-Opfer-Umkehr an. Und so ist es eben kein Wunder, dass sich – beim Publikum, bei der Kritik wie beim Regisseur selbst – quasi automatisch die Analogie von Auschwitz und Gaza ergab. So wie die Höß’ sich damals neben dem Vernichtungslager häuslich einrichteten, suggeriert Jonathan Glazer in seiner Rede, so richteten sich die Israels heute neben Gaza ein und wir alle schauten unbeeindruckt zu. So beweist der Film vor allem und anders als intendiert, dass die Verhältnisse, die Auschwitz ermöglichten, fortbestehen und die Aufarbeitung der Vergangenheit nicht gelungen ist.

Niklaas Machunsky

Aleida Assmann: Mythologin des Holocaust

Über die positive Besetzung des negativen Gründungsmythos der Bundesrepublik

Heft 17, Winter 2021 Parataxis

Die Verwandlung der Shoah in den Gründungsmythos Holocaust führt so zu ihrer Entwirklichung zu einem Symbol allgemein-menschlichen Unrechts, das mit jedem Unrecht assoziiert werden kann. Wenn aber jeder seine persönliche Geschichte, auch wenn diese nichts mit dem konkreten Ereignis zu tun hat, auf die Ermordung der europäischen Juden projizieren können soll, dann ist jedes Beharren auf den historischen Tatsachen und jedes Zurückweisen von unangemessenen Vergleichen eine Störung des öffentlichen Friedens. Auch die mit der Mythologisierung des Holocaust einhergehende Universalisierung führt zu seiner Derealisierung. Die Verwandlung der Juden zu Platzhaltern für all jene, denen Gewalt und Unrecht angetan wurde und wird, schneidet das historische Ereignis der Shoah von ihren konkreten Ursachen ab. Sie wird dem geschichtlichen Kontinuum enthoben und für die gegenwärtigen Bedürfnisse funktionalisiert. Folgerichtig verallgemeinert Assmann auch den Antisemitismus zu einer »gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit« (Wilhelm Heitmeyer). Der spezifische Hass auf die Juden als Juden gilt ihr nur noch als ein variables Signalmuster: »Unter neuen historischen Bedingungen kann ein Signalmuster wieder aufleben, das sich nun von Juden auf andere ethnische und soziale Minderheiten verlagert.« Wer hiernach etwa auf den Antisemitismus von Einwanderern oder Muslimen verweist, stellt für Assmann eine Bedrohung für den Erinnerungskonsens der multikulturellen Gesellschaft dar.

Niklaas Machunsky

Der polemische Gehalt des Judentums

Heft 08, Frühjahr 2016 Parataxis

Moishe Postone war sich durchaus bewusst, dass er in seinem Aufsatz »Antisemitismus und Nationalsozialismus« nur eine spezifische Erscheinung des modernen Antisemitismus als Ausprägung einer besonderen Form des Antikapitalismus und nicht etwa ein selbstbewusstes bürgerliches Denken behandelte: »In diesem Beitrag geht es um einen anderen Strang, nämlich um jene Formen von Romantizismus und Revolte, die ihrem Selbstverständnis nach anti-bürgerlich sind, in Wirklichkeit jedoch das Konkrete hypostasieren und damit innerhalb der Antinomie der kapitalistischen gesellschaftlichen Beziehungen verharren.« Es sind vor allem seine wert- und ideologiekritischen Nachfolger, die die von Postone analysierte Zuordnung, Jude gleich Abstraktion, über den konkreten Fall hinaus als gegeben annehmen. Es ist vielleicht kein Zufall, dass sowohl Kenneth Marcus als auch David Nirenberg sich mit dem Antisemitismus und Antizionismus Alain Badious auseinandergesetzt haben, denn dieser dreht die von den Nazis bekannte Zuordnung in mancher Hinsicht um. Israel gilt Badiou gerade deshalb als böse, weil es nicht abstrakt genug sei. Darin stimmt er mit Jürgen Habermas und all denen überein, die Israel von einem postnationalen Standpunkt aus kritisieren.

Niklaas Machunsky

Vergessen, um zu erinnern

Alain Finkielkraut und die Wendungen des Antisemitismus

Heft 04, Frühjahr 2014 Essay

In Finkielkrauts Darstellung entsteht der Eindruck, als sei der neue Antisemitismus ausschließlich ein mit den Immigranten eingewandertes Problem. Die Franzosen trifft hier lediglich die Schuld, das Problem nicht beim Namen zu nennen. In dem Text Im Namen des Anderen betonte Finkielkraut hingegen die spezifisch französische Ursache für den neuen Antisemitismus, den Wunsch, von der eigenen Geschichte bloß noch die Shoah zu erinnern und den Rest zu vergessen, um sich im postnationalen Traum einrichten zu können. Indem er nun diese Ursachen für den zunehmenden Judenhass ausblendet, um die französische Identität als Heilmittel gegen den Antisemitismus der Einwanderer anzurufen, täuscht er sich über die Tragweite des Problems. Auch verändert sich unter der Hand, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen, seine Konzeption der französischen Nation, die ihrerseits zu einer ontologisch reinen Kategorie zu werden droht.

Niklaas Machunsky

Zeit und Ort der Gesellschaftskritik

Über den Umschlag der Utopie in Dystopie

Heft 03, Herbst 2013 Essay

Filme wie Equilibrium, Aeon Flux oder V wie Vendetta, die sich noch an 1984 orientieren, verharmlosen die Gefahr der Rackets, Banden und Bewegungen für die direkte Demokratie. Ihr ideologisches Rüstzeug holen sich diese kleinen Brüder von Big Brother aus eben jenen Filmen, wobei insbesondere der Film V wie Vendetta heraussticht. In diesem von den Wachowski-Geschwistern, die auch schon für die Matrix-Filmtrilogie verantwortlich zeichneten, geschriebenen und produzierten Film sprengt am Ende der Führer der Wutbürger das Parlament in die Luft. Die Maske, die das aufgebrachte Volk in dem Film trägt, um sich vor dem totalitären Staat zu anonymisieren, ist das Markenzeichen von Anonymous geworden.

Niklaas Machunsky

Maos Denker

Von Carl Schmitt zu Alain Badiou

Heft 01, Herbst 2012 Essay

Mit unverhohlener Bewunderung, so wird berichtet, habe Carl Schmitt mit Bezug auf die von der RAF 1975, nach der Eroberung der Deutschen Botschaft in Stockholm, erhobenen Forderungen, gesagt: »So spricht der Staat.« Die Anmaßung einer staatsgleichen Souveränität »schien ihm die Pointe des Vorgangs zu sein«. Er bewunderte an der RAF, was der Staat zu diesem Zeitpunkt laut seiner Diagnose schon lange eingebüßt hatte, die Kraft zur souveränen Entscheidung. Existenziell wichtig für eine so verstandene politische Einheit wird der Feind. Und hier sind sich Schmitt und Badiou vollkommen einig: Der Feind ist der Jude, ihm gegenüber wird jede andere Feindschaft bedeutungslos.

Alle Ausgaben

→ Jetzt Abo abschließen

Newsletter

Gerne informieren wir Sie über Neuerscheinungen, Vortragsveranstaltungen, Rezensionen usw. usf. auch via E-Mail. Hierzu können Sie sich in unseren Newsletter eintragen. 
Ihre Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Ihre Anmeldung war erfolgreich!
magnifiercrossmenuarrow-up