Martin Puder

Martin Puder

Zur Ästhetischen Theorie Adornos

Heft 14, Frühjahr 2019 Essay

Die Ästhetische Theorie ist das umfangreichste, zugleich aber das am wenigsten kommunikative Werk Adornos. Übersichten, klare Kapitelaufteilungen, längere Polemiken oder Interpretationen, wie sie die Negative Dialektik noch reichlich enthielt, fehlen ganz, und nicht einmal läßt sich fixieren, was das Motiv des Sich-Verschließens ist. Ist die extreme Ungreifbarkeit eine Reaktion auf die Brutalität scheinbar Gleichgesinnter, die Adorno in seinen letzten Lebensjahren erfuhr? Oder entwickelte er eine spezifische Form des Altersstils, über dessen »Logik des Zerfalls« das Buch ja vielfältig meditiert? Hängt es mit den späten Provokationen des Positivismus zusammen, daß die Ästhetische Theorie fast lustvoll das Widerspruchsverbot durchbricht – oder soll der Verzicht auf ein Gedankenkontinuum das Buch seinem Gegenstand, der Kunst, anähneln? Am wenigsten wahrscheinlich ist es, das Dunkle mit dem fragmentarischen Zustand des Manuskripts zu begründen, dem der dritte Arbeitsgang noch bevorstand. Aber ignoriert werden darf auch dieser Aspekt nicht. In die Irre dagegen führt jede Erklärung, die das Konzept des Elitären anbringt, was einmal durch Hans Mayer geschah und inzwischen das einschnappende Argument der Bescheidwisser gegen Adorno wurde. Soll der Begriff »elitär« mehr sein als ein Wortprügel, der alles irgendwie Komplexe oder nicht Integrierte trifft, so meint er Führungsansprüche, die sich aus der Behauptung anthropologischer Qualitätsunterschiede herleiten. Elitäres Denken arbeitet immer mit fixen Auffassungen von der Natur des Menschen, und Adorno haßte deshalb weniges so wie prinzipielle Anthropologie. Er sah die Deformationen und Differenzierungen der einzelnen als gesellschaftlich Gewordenes und Aufzuhebendes, nicht als naturgegebenes Schicksal oder als Rechtsgrund von Privilegien. Liest man die Sätze Adornos, die oberflächlich nach Massenverachtung klingen, genau, ist ihr wahrhaft anti elitärer Gehalt unverkennbar.

Martin Puder

Der werdende Marx

Heft 08, Frühjahr 2016 Essay

Diese von der Erfahrung physischen Leidens bestimmte Biographie Roman Rosdolskys prägt in mancher Hinsicht auch das Buch Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen ›Kapital‹. So widersteht Rosdolsky trotz seiner neomarxistischen Grundhaltung allen Versuchen, die Theorie von der Verelendung des Proletariats durch Begriffe wie ›mentale Verelendung‹, ›psychische Verelendung‹ oder gar ›moralische Verelendung‹ zu retten. Selbst den Terminus ›relative Verelendung‹ lehnt Rosdolsky ab. Er geht davon aus, dass derartige Übertragungen, in denen sich der akademische Marxismus gegenwärtig wieder gefällt, nur von der Stumpfheit ihrer Autoren gegenüber wirklichem, physischem Entbehren zeugen. Es wirkt wie Hohn auf dessen Furchtbarkeit, wenn Elend, das in der Sprache nicht umsonst mit dem Adjektiv ›namenlos‹ zusammengewachsen ist, Attribute aus der vergleichsweise harmlosen Sphäre der Reflexion erhält.

Dass Marx seine Theorie »materialistisch« nannte, sollte ja vor allem auch ausdrücken, dass Hunger, materielle Not und körperliches Leiden ernster sind als alles andere und Begriffen oder Ideen immer inkommensurabel.

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