Martin Blumentritt

Martin Blumentritt

Adorno, der Komponist als Philosoph

Heft 14, Frühjahr 2019 Essay

Da Adorno – anders als Nietzsche – kein dilettierender, auch-komponierender Philosoph war, sondern sein Handwerk beherrschte, drängt die Frage sich auf, wie es mit dem philosophierenden Komponisten sich verhält und auf welche Weise sein Komponieren Licht auf seine Philosophie wirft. Wer einmal die Musikalität von Adornos wissenschaftlicher Prosa vernahm, der vermisst sie in der zur homophonen Kommunikationstheorie depotenzierten Theorie, die an Adorno anzuknüpfen intendierte, deren Darstellung, gleichsam Mimesis ans Tote, von der professionellen Langweilerei der Hauerschen Dodekaphonie sich nicht unterscheidet. Die abstrakte Negation der Tradition zugunsten abstrakter Ordnung, welche die Theorie wie die Kompositionstechnik vollzieht, sei’s in der formalistischen Konstruktion des Normativismus, sei’s in der Substitution der Tonalität durch nominalistische Kompositionsprinzipien, manifestiert sich in der ästhetischen Form.

Martin Blumentritt

Antisemitismus auf den Richterstühlen der Vernunft

Jüdisches und Antijüdisches im Deutschen Idealismus (Teil 2)

Heft 06, Frühjahr 2015 Essay

Schellings Christologie steht der anamnetischen Tradition des Judentums näher als seine akademische Umgebung. Die Verfahrensweise seines Geschichtsdenkens, das dann in einer »metaphysischen Erfahrung« (Adorno), einem »metaphysischen Empirismus«, mündet, hat auch strukturell eine aktuelle kritische Bedeutung, wie sie für die Kritische Theorie des 20. Jahrhunderts bedeutsam ist. So fi nden wir in dem Teil »Vergangenheit«, der als einziger fertiggestellt wurde und fertiggestellt werden konnte, Bemerkungen, die wir in Diskussionen zur »Vergangenheitsbewältigung« hätten hören können. An ihnen merken wir, dass Schelling nicht einer jener Romantiker ist, die die Vergangenheit bis zur Verklärung idealisieren. Das Diktum Ulrich Sonnemanns, demzufolge Zukunft nach außen wiederkehrende Erinnerung sei und deswegen Gedächtnislosigkeit keine habe, wird von Schellings historischer Verfahrensweise vorweggenommen: »Wie wenige kennen eigentliche Vergangenheit! Ohne kräftige, durch Scheidung von sich selbst entstandene, Gegenwart gibt es keine. Der Mensch, der sich seiner Vergangenheit nicht entgegenzusetzen fähig ist, hat keine, oder vielmehr er kommt nie aus ihr heraus, lebt beständig in ihr. Ebenso jene, welche immer die Vergangenheit zurückwünschen, die nicht fortwollen, indeß alles vorwärts geht, und die durch ohnmächtiges Lob der vergangenen Zeiten wie durch kraftloses Schelten der Gegenwart beweisen, daß sie in dieser nichts zu wirken vermögen. Die meisten scheinen überhaupt von keiner Vergangenheit zu wissen, als der, welche sich in jedem verfließenden Augenblick durch eben diesen vergrößert, und die offenbar selbst noch nicht vergangen, d. h. von der Gegenwart geschieden ist.«

Martin Blumentritt

Antisemitismus auf den Richterstühlen der Vernunft

Jüdisches und Antijüdisches im Deutschen Idealismus

Heft 05, Herbst 2014 Essay

War Janus ursprünglich ein Lichtgott, so wandelte seine Vorstellung sich allmählich zum Gott allen Ursprungs, des Anfangs und des Endes, der Türen und der Tore, zum Vater aller Dinge und Götter. Das, was die Deutschen Idealisten über das Jüdische dachten, war nicht weniger janusköpfig als der Ursprung ihres Denkens: die Aufklärung, so wie sie von Kant als Ausgang aus der Unmündigkeit zusammengefasst wurde, und ihr gegenüber das Traditionale, wozu wesentlich auch der Bereich des Religiösen gehörte, das sie zugunsten eines Reiches der Freiheit, menschlicher Autonomie, aufzuheben intendierte. Offenbarungstheologie wurde verdrängt durch den Gedanken, dass nichts am Religiösen zu akzeptieren sei, das die Menschen unter heteronome Verhältnisse bringen könnte. Dass Juden zum Opfer genau dieser Aufklärung wurden, welche auch ihre eigene Kritik hervorbrachte, sei es im persönlichen Kontakt zu Juden, sei es zu anderer antisemitischer Demagogie motiviert, macht eine Konstruktion des Antisemitismus unmöglich, die nicht deren heimlichen Telos des Antisemitismus im Massenmord an den europäischen Juden im Blick behält, ohne es anachronistisch als Maßstab zu nehmen.

Martin Blumentritt

Adornos Schelling und Kants Refus, das Innere der Dinge zu erkennen, oder die Rebellion gegen das Ding an sich

Heft 04, Frühjahr 2014 Essay

Nach Schelling wäre ein Absolutes, das hergeleitet ist, ein Relatives und nicht absolut. Darin hatte er schon früh von Fichte sich unterschieden, bei dem das Ich sich selbst setzt, während Schelling das Ich, das da setzt, mitbedenkt: Wenn es nicht bereits existierte, könnte es auch nichts setzen. Das nimmt Sartres präreflexives cogito vorweg. So gesehen setzte ein Reflexionsmodell des Selbstbewusstseins, wie es bei Descartes oder Fichte vorliegt, eine Metabasis vom Begriff zur Existenz voraus, die dem ontologischen Gottesbeweis entspricht, den Schelling (wie Hegel auch: als vorläufigen Anfang) mit der Anschauung beginnen ließ. Adorno sah indes auch das materialistische Moment an Schelling, das oft – wie in Lukács’ Zerstörung der Vernunft – als mystisch denunziert wird.

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