Lukas Kurth

Lukas Kurth

Weltraum-Leninismus

Über die unheimliche Popularität des Dietmar Dath

Heft 23, Winter 2024 Essay

Vor diesem Hintergrund erscheint Daths Apotheose des technologischen Fortschritts als Voraussetzung gesellschaftlichen Fortschritts lediglich folgerichtig – ein derartiger »Ingenieursblick« ist für ihn geradezu die »ästhetische Qualität der Science-Fiction« schlechthin. Die vollständige Computerisierung ist sein dahingehendes Telos sozialistischer Planung, deren Scheitern in der Vergangenheit – neben der äußeren Ursache des Konkurrenzdrucks der kapitalistisch wirtschaftenden Anrainerstaaten – auch in der inneren Ursache der mangelnden Verfügbarkeit für die bedarfsgerechte Produktion und Verteilung elementarer Informationen und deren algorithmisierter Verarbeitung begründet liege. Die moderne Automaten- und Algorithmentheorie hingegen liefere genau jenes bislang fehlende Werkzeug zur gesellschaftlichen Umsetzung der »Idee, daß man prinzipiell jeden Vorgang, ob von Menschen und anderen Subjekten mit Zwecken und Mitteln veranstaltet oder autonom und naturwüchsig, als Rechnung beschreiben kann – auf dem gegenwärtigen Stand der Technik also: als Ausführung eines Computerprogramms.«

Lukas Kurth

Unter einem Himmel gegen Amerika

Cixin Lius Science-Fiction als literarischer Kampf für den ›Imperialismus‹ chinesischer Prägung

Heft 22, Sommer 2023 Essay

Das ideologische Kernmotiv Cixin Lius lässt sich unschwer als die spezifisch literarische Gestalt einer für die kontemporäre chinesische Staatsideologie konstitutiven Idee entziffern, nämlich dem von Zhao Tingyang in die Gegenwart übersetzten antiken Herrschaftsmodell des Tianxia. Hierunter ist »ein inklusives Konzept der globalen Kooperation« zu verstehen, »das mit dem westlichen Modell der Hegemonie und des egoistischen Individualismus breche und der kulturellen Vielfalt Rechnung trage«. Cixin Lius Invektiven gegen den der Logik des Wertgesetzes (welches im Übrigen in keinem seiner Werke nennenswerte Erwähnung findet) entsprungenen und zuvorderst im Westen verorteten Egoismus und Individualismus entpuppen sich als unverhohlene Werbung für das chinesische Gegenmodell zur westlichen Hegemonie, das statt ungezügelter Marktkonkurrenz »materielle Besserstellung und freien Warenverkehr« und statt egoistischer Nutzenmaximierung den »Vorrang der Gemeinschaft vor dem Einzelnen« propagiert. Desiderat jenes Modells ist nach außen gewandt eine politische Ordnung, in der »alle Kulturen und Religionen … harmonisch und ohne ›einseitigen Universalismus und Kulturimperialismus‹ unter dem Schirm einer nicht näher bestimmten ›Weltsouveränität‹ im Frieden miteinander leben« und nach innen hin ein autoritäres Modell staatlicher Totalherrschaft zur repressiven Absicherung der besagten politischen Ordnung innerhalb des Staates – wobei die staatliche Totalherrschaft als ›Sozialismus chinesischer Prägung‹ und der ›Weltsouverän‹ selbstverständlich in Gestalt Chinas zu denken ist.

Lukas Kurth

Die Nassrasur als inneres Erlebnis

Sinnlichkeitsdenken und Gemeinschaftssehnsucht in Simon Strauß’ Prosa

Heft 18, Sommer 2021 Parataxis

Doch auch wenn Strauß es gerne hätte, lässt sich heutzutage ebenso wenig mit einem metaphysisch grundierten Gestus schreiben, ohne in plumpen Ästhetizismus und damit letztlich in Kitsch zu verfallen wie zu Zeiten seines literarischen Vorbilds Jünger. Während etwa in dessen Frühwerk die sprachlichen Naturalisierungen der als eine ebensolche Naturgewalt erlebten Kriegsgeschehen des Ersten Weltkriegs als ästhetisierender Reflex auf »die Sprachlosigkeit des Frontsoldaten angesichts der Inkommensurabilität des Krieges«, auf die subjektive Überwältigung durch die als naturhaft wahrgenommene schiere Übermacht eines in dieser Form noch nie Dagewesenen zu kritisieren sind, besitzen Strauß’ sprachliche Konstruktionen, mit denen er Alltagsbanalitäten wie Fleisch essen oder Rasieren zu existenziellen Erfahrungen zu stilisieren versucht, unweigerlich einen faden (wenn auch im Vergleich zu Jünger ungleich harmloseren) Beigeschmack von Kitsch. Die Entzauberung der Welt, vor der Jünger warnte, ist bereits so unwiederbringlich und vollumfänglich geschehen, dass jeder Versuch ihrer Wiederverzauberung durch Mystifizierung des Profanen in einer von Magie beseelten Sprache notwendigerweise genauso zum Scheitern verurteilt ist, wie des Protagonisten Suche nach sinnlicher Gewissheit. Die hieraus entspringende Angst, die Strauß’ Erzähler umtreibt, ist von der Jüngers daher grundlegend verschieden, wenngleich auch am Ende das selbe Resultat steht: Unwahrheit und Kitsch in Form und Sprache.

Lukas Kurth

»Eher als Maschine denn als Menschen…«

Subjektivität und zweckgerichteter Charakter bei Sherlock Holmes

Heft 14, Frühjahr 2019 Essay

Insofern lassen sich die Geschichten um den Meisterdenker aus der Baker Street immer auch als literarischer Kommentar zu einer philosophischen Debatte und gesellschaftlichen Konjunktur verstehen: In seinem positivistischen, rein instrumentell-zweckgebundenen Denken bekennt sich die Figur Holmes nicht nur zu einer bestimmten Form von Rationalität; zugleich vereint er auf sich all jene Eigenschaften, die dem in die Subjektform gepressten Individuum von der wert- und warenförmigen Gesellschaftsformation des ausgehenden Liberalismus abgerungen werden. Doch Holmes erweist sich nicht nur hinsichtlich seiner mühselig internalisierten Verhaltensweisen – die in leicht abgewandelter Gestalt nach wie vor Gültigkeit beanspruchen können – als Archetyp des modernen kapitalistischen Subjekts, sondern auch, weil ihm der Transfer der dem Produktionsprozess entsprungenen instrumentellen Denkanforderungen auf sämtliche Lebensbereiche, die Verlängerung der Arbeitsmethode ins Private hinein, gelingt. Nicht nur, dass Holmes seine eigene Person vollständig in den Dienst seiner Detektivarbeit stellt; getreu dem liberalen Bildnis des sich in seiner Arbeit selbstverwirklichenden Subjekts empfindet er die bruchlose Identität von Arbeit und Leben gar als eine zu affirmierende, lustvolle. Aufgrund der sublimierenden Wirkung, welche die Arbeit für ihn hat, muss Holmes in seiner Vorstellung arbeiten, um leben zu können, da erst der durch die Produktivität erzielte Lustgewinn das Leben lebenswert macht. Indem die Arbeit – darin dem Drogenrausch ähnlich – in seinen Augen zuvorderst Lust und Glück suggeriert, gelingt ihm eine Triebbesetzung, die jedes Warensubjekt der Idee nach wollen muss: Arbeit als höchster, da luststiftender Sinn des Lebens.

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