Ljiljana Radonić

Ljiljana Radonić

Hast Du schon von der Ustaškinja gehört?

Frauen als Täterinnen unter den NS-Hilfsvölkern

Heft 21, Winter 2023 Parataxis

Der zweite entscheidende Unterschied zwischen der Situation im ›Dritten Reich‹ und in der NDH bestand darin, dass die Ustaša es mit einer Situation zu tun hatten, die für Deutschland und weite Teile Österreichs undenkbar war: einem bewaffnetem Widerstand, mit dem rund die Hälfte der Bevölkerung sympathisierte, ihn unterstützte beziehungsweise ihm gar angehörte – einschließlich bewaffneter und für die politische Arbeit zuständiger Frauen, die sich 1942 zur Antifaschistischen Frauenfront Jugoslawiens zusammenschlossen. ›Die Partisanin‹ wurde für die Ustaša folglich zu einem mindestens ebenso bedrohlichen Feindbild wie das der als jüdisch imaginierten liberalen Frauenrechtlerin. Tatsächlich stellte die Partisanenbewegung, welche selbstredend ihrerseits alles andere als frei von patriarchalen Vorstellungen war, aber bewaffnete Kämpferinnen zuließ und als regierende Kommunistische Partei Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals in Jugoslawien das Wahlrecht gewähren sollte, für viele Frauen eine ansprechende Alternative und somit für die Ustaša eine besondere Bedrohung dar. Die Partisanin wurde als vermännlichtes Wesen, Sünderin und Kindermörderin dargestellt, wobei der letztere Begriff gegen Abtreibungen zielte. (102) ›Freie Liebe‹ in der Partisanenbewegung und Abtreibungen wurden am drastischsten diabolisiert. So zeigt eine Ustaša-Karikatur ›freie Liebe‹ in der Partisanenbewegung: eine aufgetakelte Partisanin im aufreizend kurzen, pelzbesetzten Kleid, mit rotem Stern und Hammer und Sichel auf der Mütze, einem Pflaster auf der Wange und einem Maschinengewehr in der einen Hand, greift einem Soldaten mit Handgranate am Gürtel mit der anderen Hand lüstern auf den Oberschenkel. (105) Die Partisanin habe keine Scham, würde jede Nacht den Mann wechseln, somit die Heiligkeit der Familie zerstören und die einfachen kroatischen Soldaten zum Übertritt in die Volksbefreiungsbewegung verführen, so die Ustaša-Ideologie.

Ljiljana Radonić

30 Jahre Kroatienkrieg

Drei Annäherungen

Heft 18, Sommer 2021 Essay

Während wir also den Keller einrichteten, kamen meine schwangere Tante und mein kleiner Cousin aus Nova Gradiška zu uns nach Zagreb, weil bei ihnen zuhause schon Krieg war. Ich schrieb in mein Tagebuch, auf Kroatisch natürlich: »4.9.1991: In Kroatien ist jetzt Krieg. Meine Oma ist in Vinkovci, sie geht oft in den Keller. … Die Schule hätte am 2.9. beginnen sollen, aber das wurde auf den 9. 9. verschoben. … Es ist sehr schwer, aber was soll man machen. Ich bin nicht mehr so verrückt nach Aco, obwohl er mir immer noch gefällt. Jetzt habe ich ein wichtigeres Problem.«

Ljiljana Radonić

Polnische und ungarische Erinnerungskrieger

Heft 16, Sommer 2020 Parataxis

Ein Holocaust-Museum ist dann doch eine zu ›jüdische‹ Angelegenheit, um heutzutage im Zeitalter der ›Universalisierung des Holocaust‹ als Negativikone jeden geschichtsrevisionistischen Unsinn verzapfen zu können. So konnte die Föderation jüdischer Gemeinden in Ungarn (MAZSIHISZ) zusammen mit internationalen Protesten bisher erfolgreich die Eröffnung eines Museums nach dem Fidesz-Schmitt’schen Modell verhindern. Der riesige Davidstern prangt auf dem – unzähligen Fidesz-Vorstößen zum Trotz – seit Jahren leerstehenden Gebäude. Der neueste Turn zeigt aber nun: Je autoritärer das Regime, umso schwieriger die Entscheidung für oder wider den neuen Geist. So hat sich die kleine orthodoxe Chabad-Gemeinde EMIH unter der Leitung des durchaus als Orbán-treu geltenden Rabbiner Shlomo Köves dazu entschlossen, das jüdische Feigenblatt für das Museum abzugeben und die Mitverantwortung dafür zu übernehmen. MAZSIHISZ wie EMIH pflegen beide gute Beziehungen zu Israel und wissen um die Bedeutung des Unterschieds zwischen den sozialistischen antizionistischen Machthabern in Ungarn und Orbán Bescheid, der in Israel einen Verbündeten sucht. Doch während die größere Föderation bisher erfolgreich in Israel um Unterstützung für ihren Kampf gegen den Geschichtsrevisionismus der Fidesz wirbt, macht die kleinere EMIH-Gemeinde beim Fidesz-Projekt mit.

Ljiljana Radonić

Bosniaken als neue Juden?

Zweierlei Aufarbeitung der Vergangenheit in Sarajevo und Srebrenica

Heft 12, Frühjahr 2018 Parataxis

In den vergangenen beiden Jahren scheint nun in Bosnien eine museale Aufarbeitung des Krieges in Form umfassender ständiger Ausstellungen möglich geworden zu sein – doch die gewählten Zugänge könnten unterschiedlicher nicht sein. Das 2016 privat initiierte Museum of Crimes against Humanity and Genocide in Sarajevo setzt dabei – auf Bosnisch, Englisch und Türkisch – die oben beschriebene Tradition fort. Bereits das allererste Exponat stellt klar, ›wir‹ seien die neuen Juden, denn auch ›wir‹ mussten, in diesem Fall in Prijedor (im Nordosten Bosniens) 1992, Armbinden tragen.

Ljiljana Radonić

Ist Queer noch zu retten?

Heft 11, Herbst 2017 Parataxis

Doch die Beißreflexe rühren an allem, was dem »queeren Ressentiment« heilig ist, der Definitionsmacht, dem Ressentiment gegen »normativ schöne Männer«, »dem Hass auf vermeintlich privilegierte Schwule«, Pink-Washing, Islamophobie, ja gar an »queeren Jihadisten«. Oder wussten Sie etwa nicht, dass nach 9/11 in den USA die Queer-Community als Konsumentengruppe entdeckt und in die Gesellschaft integriert wurde, um sich dem War on Terror gegen das Feindbild des homophoben muslimischen Terroristen anzuschließen? Der amerikanischen Theoretikerin Jasmin Puar zufolge würden Muslime als krank, sexuell pervers und todbringend dargestellt, also mit den gleichen Adjektiven belegt wie vorher die als Queers ausgeschlossenen LGBTs. Andererseits, absurder ist das auch nicht als die antisemitische Vorstellung, das sonst üblicherweise als von Ultrareligiösen gesteuert imaginierte Israel sei besonders perfide, weil es Homosexuelle rechtlich schützt und ihnen für den Nahen Osten ansonsten unvorstellbare Freiheiten gewährt, um die Palästinenserinnen und Palästinenser besser unterdrücken zu können. Bei der Schilderung, wie der Anschlag von Orlando gegen Homosexuelle zu einem zumindest intersektionellen, wenn nicht gar rassistischen Anschlag umgedichtet wird, stockt einem schließlich der Atem: Dafür genügte die Tatsache, dass dort ob der Latin Night vor allem Mexikaner anwesend waren.

Ljiljana Radonić

Individualisierung als Abwehr

Deutsche Erinnerungskultur versus postsozialistische Affinität zur »Sache des Zionismus«

Heft 08, Frühjahr 2016 Essay

Ebenso ist es unter deutschsprachigen ExpertInnen üblich, sich in Gesprächen äußerst kritisch darüber zu äußern, dass sich das 2005 eingeweihte Museum zur Geschichte des Holocaust in Yad Vashem am Ende mit Blick auf Jerusalem öffnet; die enge Verknüpfung des Holocaust mit dem Staat Israel wird als unzulässige Instrumentalisierung begriffen. An dieser Stelle stößt die diesen Beitrag bisher durchziehende Gegenüberstellung von individueller Opfererinnerung und kollektivem Opfernarrativ an ihre Grenze. Denn selbstverständlich enthält auch der Zionismus nach 1945 eine kollektive Opfererzählung, die jedoch anders als die anderen ›nationalen Narrative‹ unmittelbar auf die historische Realität der Shoah und des Antisemitismus verweist, und damit auf das, was den ›Zivilisationsbruch‹ ausmacht – und dabei keine Mitverantwortung für vom eigenen Kollektiv im Zweiten Weltkrieg begangene Verbrechen übertüncht, sich keine ›jüdische Kollaboration‹ auszublenden bemüht. An dieser Stelle aber reflexhaft einzuwenden, in Yad Vashem werde ja auch nicht thematisiert, was die Juden den Palästinensern antun, ist eine dem Antisemitismus selbst geschuldete Themenverfehlung.

Ljiljana Radonić

Vom Vergessen zum Porajmos, dem ›Roma-Holocaust‹

Heft 07, Herbst 2015 Essay

In Ermangelung eines Staates, der Schutz vor aktueller Verfolgung bieten und die Erinnerung an die Verbrechen institutionalisieren könnte, wäre es zumindest von Vorteil, einen eigenen Begriff für die Verfolgung von Roma und Sinti in der Öffentlichkeit etablieren zu können. Ian Hancock, Linguist, Romani-Wissenschaftler und Menschenrechtsaktivist, prägte bereits in den 1990er Jahren den Terminus ›Porajmos‹. Doch ist dieser nicht nur deshalb umstritten, weil er in einigen Romanes-Dialekten zwar Zerstörung, in anderen aber Vergewaltigung heißt, sondern vor allem deshalb, weil Hancock ihn eindeutig als »Wort für den Roma-Holocaust« begreift, also von der Gleichheit der beiden Phänomene ausgeht.

Ljiljana Radonić

Erzengel Ungarn und der hilfsbereite Reichsadler

Heft 05, Herbst 2014 Parataxis

Seit Bekanntwerden des Denkmalprojekts Anfang des Jahres gab es in Ungarn Proteste gegen das Vorhaben, ein Mahnmal zu errichten, das den deutschen Reichsadler zeigt, der sich auf den das unschuldige Ungarn symbolisierenden Erzengel Gabriel stürzt. Schon das Haus des Terrors versucht den Eindruck zu erwecken, der Holocaust habe erst unter der Herrschaft der ungarischen Nazis, der Pfeilkreuzler, ab Oktober 1944 stattgefunden und nicht vor allem in den Monaten davor unter Horthy. … Im Juli wurde das Denkmal nachts heimlich ohne Einweihungszeremonie enthüllt. Später flogen Eier und man kann es heute nicht bewundern, ohne die Tausenden Gegenstände davor zur Kenntnis zu nehmen, die eine ganz andere Geschichte erzählen. Zu sehen ist etwa ein Foto mit der sarkastischen Beschriftung: »Die Familie Spiegel, vom ‚Erzengel Gabriel‘ nach Auschwitz deportiert.«

Ljiljana Radonić

»Deutsche Therapie ist irgendwie universell.«

Von der friedfertigen Antisemitin zur queer-theoretischen Post-Zionistin

Heft 04, Frühjahr 2014 Essay

Das Entscheidende an Butlers »Post-Zionismus«, als den sie den aggressivsten Antizionismus verhübscht, ist diese Aufspaltung des Judentums in den israelischen Souverän und die gewaltfreie Diaspora. Damit wird implizit auch das Patriarchat Israel zugeschoben. Diaspora hingegen heißt zunächst »hineingeworfen sein in eine Welt der Nicht-Juden, in der man ethisch und politisch seinen Weg inmitten einer unumkehrbaren Heterogenität finden muss, … eine Bevölkerung und sogar eine ›Macht‹, die von der Kohabitation mit den Nicht-Juden abhängt und die zionistische Verknüpfung von Volk und Land vermeidet.« Doch Butler wäre nicht Butler, wenn sie nicht auch das Diaspora-Judentum spielerisch dekonstruieren würde, denn »in diesem Sinne heißt Jude ›sein‹ sich von sich selbst zu trennen«, »die Betrachtung des Jüdischseins im Moment seiner Begegnung mit dem Nicht-Jüdischen und der sich daraus ergebenden Zerstreuung des Selbst.«

Ljiljana Radonić

Ante in Kroatien und Europa – Ein verworrener Freispruch

Heft 02, Frühjahr 2013 Parataxis

Ohne Bezug aufeinander stehen die schwerwiegenden Auffassungsunterschiede der fünf Berufungsrichter aneinandergereiht, was die Mehrheitsentscheidung als noch willkürlicher erscheinen lässt. Diese Willkür hängt nicht nur damit zusammen, dass es sich um ein internationales Strafgericht handelt, das heißt: Die Entscheidung der Richter ist nicht auf einen übergeordneten, einheitsstiftenden Souverän bezogen. Anders als die Alliierten in Nürnberg bieten die darüber wachenden europäischen Mächte kaum das Mindestmaß an Kohärenz, um hier punktuell als Ersatzsouverän zu taugen: Durch die Drohung, den EU-Beitritt nicht zuzulassen, wird politischer Druck ausgeübt – was nach einem Beitritt, siehe Ungarn, umso weniger möglich ist –, aber offenkundig trägt dieser Druck selbst zur Steigerung der Willkür in der Urteilsbildung bei. Darauf verweist vielleicht am deutlichsten das Verhalten der ehemaligen Chefanklägerin des Haager Tribunals, Carla Del Ponte.

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