Leo Löwenthal

Leo Löwenthal

Ein unveröffentlichter Brief an die Eltern aus dem Jahr 1920

Heft 12, Frühjahr 2018 Essay

Meine Lieben, Unsere Zeit sorgt dafür, dass wir keinen Augenblick in Ruhe kommen. Die Wahlen haben einen so erschreckend tiefen Blick in die politisch ganz instinktlose Seele des deutschen Volkes tun lassen, dass man um den Begriff der Würde des Menschen zu retten glauben muss, dass es Völker gibt, denen Politik fremd ist und bleibt u. deren Werte auf anderen Gebieten liegen. Das deutsche Volk scheint die Antithese zu sein zum englischen, das seit hunderten von Jahren trotz schwerster Krisen doch immer konsequente Außenpolitik getrieben u. die richtigen Männer an die Spitze gestellt hat, das aber den Anforderungen der »Seele«, des »Göttlichen«, Metaphysischen, Urgrundigen nie Genüge getan, während umgekehrt unser Volk (ist es unser Volk? Ich zweifle mehr und mehr …) stets sinnlos zerrissen, zerklüftet, politisch nur dann etwas bedeutete, wenn es für Momente gewaltsam geprüft und geformt wurde …

Leo Löwenthal

Shakespeare veraltet?

Unveröffentlichter Vortrag für den Frankfurter Bund für Volksbildung

Heft 12, Frühjahr 2018 Essay

Ist Kaliban gleichsam der Todes- und Zerstörungstrieb, so steigt mit Ariel der auf die Bejahung des Lebens gerichtete Anteil unseres unbewussten Seelenhaushalts auf. Behutsame Achtsamkeit auf den anderen Menschen, echte Beziehungen des seelischen Gefühls, verständnisvolles Opfer zur künstlerischen Sprache zart sich formende Redeweise, hingebungsvolle Ausführung gestellter Aufgaben, höhere Gestaltung des Lebens durch Veredlung jeglichen Genusses, schließlich freies Sichergehen im Reich der Phantasie und der Künste: das alles knospt in Ariel als die Summe aller Möglichkeiten, die die bezähmten und umgeformten Triebe in sich bergen. Zwischen beiden steht Prospero, nur Bewusstsein, gleichsam der Schauplatz der widerstrebenden menschlichen Grundkräfte. Und um ihn herum gruppieren sich die Reigen von Gestalten, in denen deutlich bald der eine bald der andere Anteil seelischen Lebens vorherrscht. Dieses Werk also ist ein lebendiger Anschauungsunterricht für die Erkenntnis menschlichen Seins und menschlicher Beziehung, und wer dieses Stück so erlebt, mag wohl mit ihm den Schlüssel zu manchem in ihm zu Klärenden wie auch zu Shakespeares übrigem Werk gefunden haben.

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