Lars Fischer

Lars Fischer

»Die Furcht für den Jüden«

Über den Antijudaismus in Bachs geistlichen Kantaten und seine Verdrängung

Heft 13, Herbst 2018 Essay

Als diese Kantate im Juli 1925 beim Eröffnungskonzert des 13. Deutschen Bachfests in Essen aufgeführt wurde, schrieb der Musikologe Alfred Heuß im Programmheft, sie bilde »den Untergrund des Konzerts und damit des ganzen Festes«. Sie sei »eines jener Werke, das Bach als unerbittlichen alttestamentarischen Bußprediger voll harten Eifers zeigt«. »Bach schlägt hier zu wie mit einem Eisenhammer auf einen Felsen«, so Heuß, die Musik sei von einer »geradezu dämonische[n] Wildheit« und »mit einer stahlharten Kunst durchgeführt«. Daran, dass all dies als Kompliment gemeint war, kann kein Zweifel bestehen. Dies ist umso faszinierender, als Heuß ein berüchtigter Antisemit war. Im Oktober des gleichen Jahres charakterisierte er Schönbergs Berufung an die Preußische Akademie der Künste als einen »Schlag gegen die Sache der deutschen Musik, wie er zurzeit herausfordernder kaum gedacht werden kann«. Man habe es, erklärte er, mit einer »Kraftprobe zwischen Deutschtum und – nun heißt es ... offen werden – spezifisch jüdischem Musikgeist« zu tun. »Jeder, der in die Rassenunterschiede einen Einblick hat«, sei sich darüber im Klaren, dass der »Fanatismus« des »wurzellose[n] Juden« Schönberg »rassenmäßig bedingt« sei. Es gebe zwar auch assimilierte Juden, die einen wertvollen Beitrag leisten könnten, doch »zu welcher Art Judentum Schönberg gehört und gehören will, das hat er nicht nur in aller Klarheit demonstriert, sondern auch ausgesprochen«. Seine Berufung werde »der deutschen Musik mindestens einige Jahrzehnte kosten ... weil eben, und zwar zum erstenmal in ihrer Geschichte, spezifisch jüdische Kräfte ihre Entwicklung in einer Zeit innerer Entkräftung in die Hand genommen haben«. Offenbar konnte ein- und derselbe Musikologe also durchaus den »harten Eifer« des »unerbittlichen alttestamentarischen Bußpredigers« Bach und die Werke »verwurzelter« Juden bewundern und sich dennoch in einer antisemitischen Polemik gegen Schönberg ergehen – ein interessanter Hinweis auf die Komplikationen, die sich bei dem Versuch ergeben können, nichtjüdische Einstellungen dem Judentum, dem Alten Testament und den Juden gegenüber zu verstehen.

Lars Fischer

Zur Beziehung zwischen Gershom Scholem und Theodor W. Adorno

Heft 10, Frühjahr 2017 Parataxis

Im Dezember 1962 schrieb Adorno an Scholem: »Ich beschäftige in diesen Tagen mich sehr intensiv mit Ihren ›Unhistorischen Thesen‹ zur Kabbala. Es bedarf keiner großen Ratekünste, damit Sie verstehen, daß mir diese Sache besonders wichtig ist. Es gibt, von allem anderen abgesehen, wohl auch nichts von Ihnen, worin eine so tiefe theoretische Beziehung zu Benjamin, zumal den geschichtsphilosophischen Thesen, sich äußert. Andererseits ist es ein unmenschlich schwerer Text, und obwohl ich doch wirklich an allerhand gewöhnt bin, maße ich mir nicht an zu behaupten, daß ich es ganz verstanden hätte… Adorno forderte Scholem im Laufe der 1960er Jahre wiederholt dazu auf, die philosophischen Implikationen seines Studiums der jüdischen Mystik auf eine explizitere, weniger esoterische Weise programmatisch zu formulieren, doch wich Scholem diesem Ansinnen stets aus, so auch bei dieser Gelegenheit. »Ich habe mich mit der Zustimmung, die unhistorischen Sätze über die Kabbala zum Druck zu geben, entschieden versündigt,« schrieb er, »ging freilich, entsprechend dem in einem dieser Sätze Gesagten, davon aus, daß sowieso kein Mensch davon Kenntnis nehmen würde und daß die sicherste Weise es versteckt zu halten, wäre, sie an einem gedruckten Ort wie einer solchen Festschrift unterzubringen. Jetzt wollen Sie einen Kommentar. Ja was denken Sie sich denn? So etwas gab es nur in den alten Zeiten, wo die Autoren die Kommentare gleich selber schrieben, und wenn sie klug waren, enthielten die meistens das Gegenteil von dem, was im Text stand. Ich werde mich hüten, mich da in die Brennesseln zu setzen. Von meinen Sätzen gilt: rette sich wer kann. Der Engel, der über die geistige Empfängnis gesetzt ist, heißt bekanntlich Laila, das heißt Nacht.«

Lars Fischer

»Sein Konservatismus ist nur der allerdings unabdingliche Vordergrund von etwas ganz, ganz anderem.«

Zu Leo Strauss und seinem Briefwechsel mit Gershom Scholem

Heft 07, Herbst 2015 Parataxis

Inzwischen neigt sich die zweite Amtsperiode des Nachfolgers von George W. Bush dem Ende zu, und zumindest in der wissenschaftlichen Diskussion um Leo Strauss ist es insgesamt wesentlich ruhiger geworden. Die wüsten verschwörungstheoretischen Polemiken, die Strauss als eine direkte Inspiration der Außenpolitik Bushs darzustellen versuchten, haben stark an Konjunktur verloren. Komplizierter ist die Lage im Zusammenhang mit Strauss’ Nähe zur Konservativen Revolution der Weimarer Republik. Dass die Kritik an Strauss in diesem Zusammenhang zum Teil eher instrumenteller Natur und durch die erwähnten Polemiken motiviert war, lässt sich daraus ersehen, dass Strauss sich in der überaus interessanten Position befindet, wegen seiner Nähe zu Figuren wie Carl Schmitt und Martin Heidegger von Leuten kritisiert zu werden, die sich mit Schmitt und Heidegger selbst längst versöhnt haben (und dies obwohl in den letzten zwei Jahrzehnten über Schmitt und Heidegger Dinge enthüllt worden sind, die man Strauss beim besten, das heißt: schlechtesten Willen niemals wird nachsagen können).

Lars Fischer

Georg im Wunderland

Über ein Beispiel marxistischer Musikbiographik

Heft 06, Frühjahr 2015 Parataxis

Fragt man heute, was von Georg Knepler bleibt, so lautet die Antwort: viel Nachdenkenswertes, aber auch das eine oder andere eher Bedenkliche. In der Knepler-Biographie von Oberkofler und Mugrauer ist beides (sofern es denn vorkommt) in der Regel leicht zu erkennen: Das Bedenkliche daran, dass es von den Autoren gelobt; das Nachdenkenswerte, dass es von ihnen kritisiert wird. Insofern ist es wohl ein Segen, dass von dem, was an Knepler wichtig ist, in der Biographie herzlich wenig vorkommt. Bei ihrem Positivismus handelt es sich um jenen, der meint, wenn die bürgerliche Wissenschaft sich dem Positivismus verschrieben habe, dann könne der Marxismus sie dadurch zur Einsicht zwingen, dass er ihren eigenen Positivismus noch überbietet. Was könnte also geeigneter sein, dem Weltkommunismus zum Sieg zu verhelfen, als möglichst lange Listen von unbestreitbaren Fakten? Je mehr Geburtsnamen angeheirateter Kusinen ich beibringen kann, so die Logik, desto unbestreitbarer wird auch für bürgerliche Leserinnen und Leser der Wahrheitsgehalt meines Marxismus.

Lars Fischer

Selbstverleugnender Deutschenfresser?

Anmerkungen zu Gershom Scholems Einstellung zu Deutschland und den Deutschen
Heft 05, Herbst 2014 Parataxis

Scholems Meinung nach verstand sich die Feststellung, dass es Deutsch nicht mehr gebe, offenbar von selbst und sie bedurfte keiner weiteren Erörterung. Gerade in dieser Knappheit liegt die Eindrücklichkeit dieser Formulierung, sie suggeriert aber auch, dass es hier um mehr als das unmittelbar Naheliegende geht. Es ist nicht ohne Ironie, dass Scholem diese Bemerkung auf deutsch in einem auf deutsch geschriebenen Brief machte, umso mehr, als Scholem auch weiterhin ausgiebig auf deutsch korrespondierte und zudem einer der vollkommensten deutschsprachigen Prosaisten des zwanzigsten Jahrhunderts war.

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