Klaus Thörner

Klaus Thörner

Zeugnisse ›jüdischer Caféhausliteraten‹ in der bayrischen Revolution

Heft 18, Sommer 2021 Parataxis

Ähnlich wie Rosa Luxemburg setzte Eisner im Gegensatz zu vielen Revolutionären auf eine Verbindung des Rätegedankens mit einer parlamentarischen Demokratie. Trotz des moderaten Kurses sah er sich mit Beginn seiner Regierung einer kontinuierlichen antisemitischen Hetze von Konterrevolutionären ausgesetzt. Er wurde als galizischer Jude denunziert, der eigentlich Salomon Kosmanowsky heiße und unwürdig für den Posten des Ministerpräsidenten sei. Im Bayrischen Kurier, dem Presseorgan der Bayrischen Volkspartei kolportierte man, in den Büros der neuen Gewalt wimmele es von Jüdinnen und Juden. Bereits am 8. November 1918 notierte er im Tagebuch: »München wie Bayern, regiert von jüdischen Literaten. Wie lange wird es sich das gefallen lassen?« Besonderen Hass zog Eisner bei Rechten, die die Dolchstoßlegende propagierten, auf sich; wegen seiner Anerkennung der deutschen Schuld am Weltkrieg. Der bescheiden im kleinbürgerlichen Vorort Großhadern lebende USPD-Politiker war für viele »ein preußischer Rothschild und ein bayrischer Trotzki in einer Person«. Adolf Hitler, der zu dieser Zeit in München lebte, resümierte ein paar Jahre später in Mein Kampf: »Jedenfalls begann im Winter 1918/19 so etwas wie Antisemitismus langsam Wurzel zu fassen.«

Klaus Thörner

»Er hat in Wahrheit unsere Lage sehr gefährlich gemacht.«

Arbeitswahn und Judenhass bei Martin Luther

Heft 10, Frühjahr 2017 Parataxis

Zum jüdischen Kontrahenten Luthers und aller Judenhasser der Reformationszeit wurde Josel von Rosheim (1476–1554), eigentlich Joselmann Ben Gershom Loans. Er lebte als Rabbi, Händler und Geldverleiher in der Stadt Rosheim im Elsass und war zunächst Sprecher, Vorsteher und Leiter der jüdischen Gemeinden im Elsass. Allmählich übernahm er die Rolle eines anerkannten überregionalen Interessenvertreters der Juden. 1520 verlieh ihm Kaiser Karl V. das Privileg, als oberster Vertreter für die rechtlichen und religiösen Angelegenheiten der jüdischen Gemeinden im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und in Polen zu fungieren. In den Folgejahren setzte er sich energisch für jüdische Interessen ein. So erwirkte er einen Schutzbrief des Kaisers für alle Juden des Reiches. Während des Bauernkrieges überzeugte er die elsässischen Bauern, die beschlossen hatten, die Stadt Rosheim zu stürmen, in einer längeren Disputation mit ihren Anführern, Stadt und Juden zu verschonen. Nach der türkischen Belagerung Wiens von 1529 kursierte ein Plan, alle Juden aus dem Reich zu vertreiben. Josel von Rosheim konnte dies mit diplomatischem Geschick verhindern.

Klaus Thörner

Djihad im Ersten Weltkrieg

Deutschlands Versuch, die islamische Welt zu revolutionieren

Heft 08, Frühjahr 2016 Essay

Eher zu erreichen waren die Gefangenen bei der Ausübung ihrer Gebete. Deshalb fand eine intensive religiöse Betreuung statt, in deren Kontext 1915 der Bau der ersten Moschee zu rein religiösen Zwecken auf deutschem Boden stand. Sie wurde als Holzbau in nur fünf Wochen Bauzeit für 45§000 Reichsmark im Halbmondlager errichtet und am 13. Juli 1915 mit Beginn des Fastenmonat Ramadan eingeweiht. Im Auswärtigen Amt wurde vermerkt: »Dem darin anzustellenden mohammedanischen Geistlichen ist die beste Gelegenheit gegeben, eine aktive Propaganda unter den Kriegsgefangenen zu treiben.« Das Weinberglager, das ab Oktober 1915 über einen eigenen Betsaal verfügte, erhielt parallel zum Bau der Moschee ein hölzernes Minarett. Alle wichtigen islamischen Feste wurden in den Lagern groß gefeiert und dazu offizielle deutsche und türkische Gäste aus Politik und Militär eingeladen. Presseaufnahmen von solchen Anlässen wurden in regionalen und überregionalen, auflagenstarken Zeitungen veröffentlicht, um zum einen das Freundschaftsverhältnis zwischen dem Deutschen und dem Osmanischen Reich zu dokumentieren und zum anderen die gute Behandlung der kriegsgefangenen Muslime unter Beweis zu stellen. Neben der religiösen und politischen Unterweisung wurden die Gefangenen in den beiden Lagern mit Sport, Kunsthandwerk und landwirtschaftlicher Arbeit beschäftigt. Für letzteres hatten die Männer teilweise auch Ausgang in die umliegenden Dörfer. Als besondere Anerkennung für ›Wohlverhalten‹ durften einige Gefangene unter Führung des Aufsichtspersonals kleinere Märsche in die nähere Umgebung unternehmen, manche kamen sogar bis Berlin. Im Zuge der Propagandamaßnahmen wurden die Gefangenen in mehrere Gruppen kategorisiert: »Ghihadisten, Laue und nicht Belehrbare« oder auch »Bereitwillige, Laue, Französlinge.« Die »einer Beeinflussung unzugänglichen Elemente« schob man vielfach in andere Lager ab. »Ghihadisten«, »Bereitwillige« und »Freiwillige« wurden in einem speziellen Bataillon, dem 1. Bataillon, zusammengefasst, in dem ihnen weitere Privilegien und Vergünstigungen (zum Beispiel bessere Versorgung mit Kleidung, Nahrungsmitteln oder Zigaretten) gewährt wurden.

Klaus Thörner

Lumpensammler, Schiffbrüchiger und Perlentaucher

Kleines Porträt Walter Benjamins – in Zitaten

Heft 07, Herbst 2015 Parataxis

Nicht der Blick als solcher beansprucht unvermittelt das Absolute, so lernt Adorno von Benjamin, sondern »die Weise des Blickens, die gesamte Optik ist verändert. Die Technik der Vergrößerung, lässt das Erstarrte sich bewegen und das Bewegte innehalten. Seine Vorliebe für minimale und schäbige Objekte wie Staub und Plüsch in der Passagenarbeit steht komplementär zu jener Technik, die von all dem angezogen wird, was durch die Maschen des konventionellen Begriffsnetzes hindurchschlüpfte oder vom herrschenden Geist zu sehr verachtet ist.« Weil er verlorenen, unbeachteten, getrübten Gesten, Dingen und Hoffnungen Gerechtigkeit widerfahren lassen wollte, dem Zufälligen, Ephemeren, ganz Nichtigen, blieb Benjamin immer jenen halben Schritt zurück, »hielt stets Abstand zu der Welt – wie sie ist, wahrte jenen Spielraum, der nötig ist, um ihr in den Rücken zu fallen, vor allem aber, um in aller Unabhängigkeit den verblassten Details ihr volles Leben zurückzugeben, dieser verleugneten Kehrseite der Geschichte – die er wie kein anderer gleichsam im Handumdrehen wie ein Jackenfutter hervorzukehren verstand, um uns ihre schillernden Farben aufzudecken …«

Klaus Thörner

Den Vernichtungskrieg durch andere Staaten finanziert – die Schulden nie beglichen

Heft 07, Herbst 2015 Parataxis

Die Geschichte dieser Schulden beginnt noch vor dem Nationalsozialismus, im Jahr 1932. Damals torpedierte die deutsche Regierung endgültig den unter anderem von Frankreich und den USA unterstützten Plan multinationaler Präferenzverträge für die südosteuropäischen Agrarstaaten. Der deutschen Seite gelang es, diesen Plan zunichte zu machen, da Frankreich und Großbritannien letztlich zu wenig Interesse an Importen aus Südosteuropa zeigten. Großbritannien konstituierte mit den Beschlüssen von Ottawa (1932) einen nahezu geschlossenen Wirtschaftsraum, innerhalb dessen den eigenen Kolonien Präferenzen bei der Einfuhr von Agrarprodukten gewährt wurden. Frankreich galt im landwirtschaftlichen Bereich als Selbstversorger und deckte weiteren Bedarf aus seinen Kolonien. Dagegen strebten deutsche Wirtschaft und Politik unter anderem aufgrund der Erfahrung der Seeblockade im Ersten Weltkrieg nach einem blockadesicheren ›Ergänzungsraum‹, in dem sie ein sine qua non für einen zweiten kriegerischen Griff nach der Weltmacht sahen. Mit den Rohstoffen sollte die Kriegsmaschinerie ins Laufen gebracht und in Bewegung gehalten werden, mit den Agrarprodukten sollte ein Hungern und damit eine Unzufriedenheit der deutschen Bevölkerung wie in den letzten Jahren des Ersten Weltkrieges vermieden werden. Die Sicherung des dafür vorgesehenen ›Ergänzungsraums‹ Südosteuropa bildete eine wesentliche Grundlage für das 1929 entwickelte Konzept der deutschen Großraumwirtschaft, das Carl Schmitt später mit dem »Interventionsverbot für raumfremde Mächte« erweiterte. Das Scheitern der jahrelangen internationalen Verhandlungen über Preisgarantien für die südosteuropäischen Staaten eröffnete dem Deutschen Reich 1932 die Chance, diese Großraumwirtschaft mit Südosteuropa als Zufuhrgebiet für Agrarprodukte und kriegswichtige Rohstoffe zu realisieren.

Klaus Thörner

Mit schlafwandlerischer Sicherheit: Die deutschen Ziele und Ideen von 1914 und ihre Neuinszenierung 2014

Heft 05, Herbst 2014 Parataxis

Clark präsentiert Geschichtsforschung auf dem Niveau eines Groschenromans und wird auch deshalb in Deutschland so gerne gelesen. Münkler interessiert entgegen seiner Rezeption die Frage nach den Ursachen des Krieges nur am Rande. Im Mittelpunkt seines Buches stehen Beschreibungen entscheidender Schlachten und Erzählungen über die fortschreitende Technisierung und Vermassung des Militärs. Er bescheinigt der deutschen Regierung lediglich Fehlurteile und Fehleinschätzungen, das heißt Führungsfehler, die zunächst in den Krieg und dann in die Niederlage geführt haben. So betätigt sich Münkler als aktueller deutscher Regierungsberater.

Klaus Thörner

Von Schlafwandlern und Weißwäschern

Heft 04, Frühjahr 2014 Parataxis

So finden sich trotz aller Dementis doch Hauptverantwortliche für den Ersten Weltkrieg. Deutsche sind keine darunter. Entgegen der antifranzösischen und antibritischen Lesart von Cora Stephan lastet Clark Serbien die Hauptschuld auf. Das ganze erste Kapitel seines Buches bis Seite 99 widmet er der angeblichen serbischen Mordlust. Seit Srebrenica und der Belagerung Sarajevos im Bosnienkrieg der 1990er Jahre falle es ihm schwer, Serbien als reines Opfer der Großmachtpolitik zu sehen. Stattdessen könne man sich den serbischen Nationalismus nun leichter als eigene historische Kraft vorstellen. So ist es kein Zufall, dass Clark seine Darstellung mit der Ermordung des serbischen Königspaares durch revoltierende Offiziere im Juni 1903 beginnen lässt und dabei keines der grausamsten Details ausspart.

Klaus Thörner

Adolf Eichmann im Jihad

Heft 04, Frühjahr 2014 Essay

Im selben Manuskript vermerkte Eichmann mit Blick auf die Suezkrise von 1956, die Juden seien schon wieder die Kriegstreiber und Feinde des Weltfriedens. »Denn eben überrennen israelische Bajonette aus Friedensschlaf aufgescheuchtes ägyptisches Volk. Reißen israelische Panzer und Schützenpanzerwagen feuernd und brennend durch Sinai und bewerfen israelische Flugstaffeln friedliche ägyptische Dörfer und Städte mit Bomben. Zum zweiten Mal seit dem Jahre 1945 trat man an … Wer sind hier die Aggressoren? Wer die Kriegsverbrecher?« Und dann schmiedete der Spezialist für Judenfragen eine neue Allianz und wendete sich direkt an die Moslems und die von ihnen verehrte Gottheit: »Die Opfer sind Ägypter, sind Araber, sind Mohammedaner. Bei Amon und Allah, ich fürchte, daß nach dem Beispiel von 1945, an Deutschen exerziert, Dein ägyptisches Volk, für all die von Israel, dem Hauptaggressor und Hauptkriegsverbrecher an arabischen Völkern, dem Hauptverbrecher an der Menschlichkeit im arabischen Raume, dem Verantwortlichen an den hingemordeten Muslimen, wie gesagt, daß Dein ägyptisches Volk zu büßen haben werde dafür, daß [sic!] die Frechheit besitzt auf seinem, ihm angestammten Boden überhaupt leben zu wollen.« So ist es nur folgerichtig, dass Eichmann hoffte, das Urteil der Geschichte über ihn werde im arabischen Raum gesprochen. … Wie offen Eichmann auch gegenüber seinen vier Söhnen von seiner Freundschaft zu den Arabern geschwärmt hatte, zeigte sich 1960. Nach seiner Festnahme durch den Mossad machte sich die Familie Sorge um den zweitältesten Sohn. »Da Horst leicht erregbar war«, so heißt es im Polizeibericht, »befürchtete die Eichmann-Familie, dass er sich, wenn er vom Schicksal seines Vaters erfahren würde, den arabischen Ländern als Freiwilliger für Aktionen gegen Israel zur Verfügung stellen könnte.«

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