Karin Stögner

Karin Stögner

»Jenseits des Geschlechterprinzips«

Zum Problem von Gender und Identifikation in der Kritischen Theorie

Heft 09, Herbst 2016 Essay

Die Betonung, die Freud auf das kindliche sexuelle Verlangen der Mutter legt, erschließt sich demnach nur »aus der Analogie mit der genitalen Beziehung Erwachsener«. Eine solche Setzung der Heteronormativität ist für Horkheimer aber ein Umweg, der die Komplexität des frühkindlichen Identifikationsprozesses mehr verdunkelt als dass er zu seinem Verständnis beitragen würde, denn er scheint die strikte Geschlechterbinarität – hier das Männliche, dort das Weibliche/Mütterliche – vorauszusetzen, anstatt sie dialektisch als ein historisches Moment in einer größeren Konstellation zu verstehen. In der Konstellation der westlichen Zivilisation ist Geschlecht eine Kategorie, gleich weit vom Zentrum entfernt wie das Phänomen der Identifikation, das sie vorgeblich erklären soll.

Freuds Erklärung des Ödipuskomplexes ist selbst ein Produkt des Prozesses, den er erklären soll. Den Grund für Freuds Zirkelschluss sieht Horkheimer in einem bestimmten Vorurteil: »Sein Vorurteil (vor allem in seinen früheren Perioden) liegt in der dogmatischen Ansetzung des Männlichen und Weiblichen als getrennter Urmächte, während die Sexualliebe des männlichen Kindes wahrscheinlich erst eine Folge der Angleichung an den Eindringling [den Vater] ist.«

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