Ingo Elbe

Ingo Elbe

Die falsche Versöhnung von Subjekt und Objekt

Eine Kritik an Hans-Georg Gadamers hermeneutischem Antirealismus. Mit einem Epilog: Dipesh Chakrabartys konservative Hermeneutik im postmodernen Historyland

Heft 16, Sommer 2020 Essay

Wie gezeigt, behauptet Gadamer, Verstehen sei das Einrücken in einen Überlieferungszusammenhang, in den der Verstehende eigentlich immer schon einbezogen sei. Verstehen enthalte aber nicht nur die Vorprägung des Interpreten durch das Interpretandum in dem Sinne, dass die eigenen Vorüberlegungen über den zu deutenden Gegenstand von eben diesem geprägt seien, sondern auch in dem Sinne, dass man die sachlichen Geltungsansprüche des Tradierten inhaltlich anerkenne, letztlich ein Einverständnis in der Sache herrsche – und das jenseits von Vernunftgründen. Das Verstehen der Vergangenheit wird mit einer Akzeptanz dessen, was sie uns zu sagen habe, verkoppelt. Wie passt die konservative Hermeneutik eines deutschen Philosophen, der von einer monolithischen Tradition ausgeht und sich zu Herrschaft systematisch ausschweigt, zur machtkritischen Diskurstheorie postkolonialer Theoretiker? Die Antwort besteht nicht nur in einer demonstrativen Heidegger-Apotheose auf beiden Seiten, sondern in dem inhaltlichen Versuch, irrationale Wirkkräfte der Geschichte und die religiöse Unterwerfung unter Autoritäten gegen Fortschritt, Vernunft und Autonomie des Individuums wieder hoffähig zu machen.

Ingo Elbe

Die postmoderne Querfront

Anmerkungen zu Chantal Mouffes Theorie des Politischen

Heft 12, Frühjahr 2018 Essay

Chantal Mouffes gemeinsam mit Ernesto Laclau erarbeitete ›postmarxistische‹ Theorie des Politischen ist derzeit der wohl meistdiskutierte Beitrag zum Thema Populismus. Mouffes und Laclaus Theorie stellt ein sowohl für den akademischen als auch den politischen und feuilletonistischen Diskurs attraktives Angebot dar: Sie gibt dem stets nach ›Paradigmenwechseln‹ und Neologismen hungernden akademischen Betrieb eine neue ›Beschreibung‹ der gesellschaftlichen Wirklichkeit; sie gibt der politischen Verunsicherung angesichts des vermeintlichen Scheiterns bürgerlicher wie kommunistischer Emanzipations- und Fortschrittsideen sowie des Untergangs ihrer Träger (des rationalen Individuums beziehungsweise der proletarischen ›Klasse für sich‹) einen ›kontingenztheoretischen‹ Ausdruck; sie bietet aber zugleich das Versprechen neuer politischer Handlungsfähigkeit, indem sie die mit Ohnmacht assoziierbare Kontingenz und ›Intransparenz des Sozialen‹ sowie das Fehlen des einen adressierbaren, politisch gestaltenden Subjekts als Möglichkeit neuer ›hegemonialer Projekte‹ und sozialer Bündnisse begreift. Dieses Versprechen politischer Handlungsfähigkeit ist besonders für eine Linke attraktiv, die sich von der pluralen Version einer neoliberalen Einheitspartei in den Metropolen abwendet und sich zugleich das Erstarken nationalistischer, autoritärer und faschistischer Kräfte erklären will, das unter dem Label des ›Aufstiegs des Rechtspopulismus‹ gerade in aller Munde ist. Beide Tendenzen – die ›There is no Alternative‹-Politik von Sozialdemokratie und klassischen Neokonservativen und das Erstarken der populistischen Rechten – werden insbesondere von Mouffe in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht. Als Heilmittel empfiehlt sie eine ›antiessentialistische‹ linkspopulistische Strategie, die gegen ›die neoliberalen Eliten‹ und die völkische Rechte zugleich gerichtet sein soll.

Ingo Elbe

»Die Reinigung macht uns frei.«

Karl Jaspers’ Beitrag zur Herstellung der nationalen Schuldgemeinschaft durch Akzeptanz des Kollektivschuldbegriffs

Heft 11, Herbst 2017 Essay

Der Vorwurf einer collective guilt der Deutschen für die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges und der Shoah wurde bereits während des Krieges in alliierten Kreisen erhoben, hat sich aber nach 1945 nicht zu einer regierungsoffiziellen Position oder gar Politik entwickelt. Dennoch sind Auseinandersetzungen über eine deutsche Kollektivschuld nach Kriegsende – vor allem in Deutschland selbst – zum Dauerthema geworden, das zeigte das Wiederaufleben der aggressiven Abwehr des Topos im Rahmen der Goldhagen-Debatte. Die Kollektivschuld ist offenbar eine Vergangenheit, die nicht vergehen will. Sie will aus drei sehr unterschiedlichen Gründen nicht vergehen: Erstens, weil der Vorwurf wahr ist. Zweitens, weil der Topos den einen zur empörten Abwehr und zur Exkulpation großer Teile der deutschen Bevölkerung bezüglich ihres Engagements im NS dient. Drittens, weil er von den anderen dazu verwendet wird, um durch seine Akzeptanz eine ›selbstbewusste‹ nationale »Schuldgemeinschaft« zu konstituieren, die ihre eigenen Verbrechen als Argumente für zukünftige außenpolitische Machtansprüche verwenden kann.

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