H.v.Z.

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Politik mit Begriffen

Neue Kapriolen der Bahamas

Heft 22, Sommer 2023 Parataxis

»Zivilisation in ihrer staatlichen Gestalt macht zu ihrem Subjekt nicht den freien sich mit anderen freien Subjekten zum gegenseitigen Nutzen austauschenden Privatmann, sondern den Untertan, der angetreten ist, die Krisen des Kapitals mit den Mitteln des Kapitals zu meistern.« Dagegen setzt man als Sinn und Zweck die »Einführung einer Produktion, die keine Waren, sondern Gebrauchsgüter schafft«, als ob Waren keine Gebrauchsgüter wären und als ob es nicht darauf ankäme, eben das Verhältnis zu bestimmen, in welchem der Ausschluss aller durch alle vom Genuss der »nützlichen Dinge« (Marx) beschlossen ist (wie wiederum Joachim Bruhn nicht müde wurde zu betonen). Solange dieses Verhältnis nicht seiner Form nach begriffen wird, sondern als eine ihrem ursprünglichen Sinn beraubte Produktion, bleibt auch die erhoffte Einführung einer Produktion, die keine Waren schafft, nolens volens an den Staat adressiert. Sie aber seiner Form nach zu begreifen, ist zugleich die Voraussetzung, Auschwitz nicht aus ihm abzuleiten, als handle es sich um Mehrwert; die Zäsur zu erkennen, mit der diese Taten noch die Bedingungen ihrer Möglichkeit hinter sich ließen, die sie mit dem Staat des Kapitals gemeinsam haben. Andernfalls kommt man in schlecht marxistischer Tradition zu dem Ergebnis, dass man es bei der nationalsozialistischen Politik nun eben doch nicht mit einem Bruch zu tun habe: »Kein Bruch mit der Zivilisation war die Vernichtung der europäischen Juden, nimmt man die für ihre Konstitution notwendige Produktionsweise nicht aus«. Über die Produktionsweise selbst gibt es dagegen Vermutungen, die in der Sprache der Verschwörungstheoretiker angedeutet werden, statt mit dem Marxschen Begriff des automatischen Subjekts; statt also real Abstraktes und politisch Konkretes zu unterscheiden: »Im Staat des Kapitals west zwar kein unpersönliches Subjekt, das dem Regierungspersonal einfach ihr [sic!] Handeln vorschreibt, und doch scheinen hinter ihrem [sic!] Rücken Kräfte am Werk zu sein, die nicht ›entlarvt‹ werden können. Es doch zu unternehmen lässt den Einzelnen bei der Suche nach den Urhebern seiner Angst auf pathische Projektion verfallen und auf die Suche nach dem Schädling im Haus ausgehen.« Der Ratschlag lautet offenbar, letzteres besser nicht zu unternehmen. Indem man aber selber von Kräften raunt, die hinter dem Rücken des Regierungspersonals am Werk seien, ohne sie zu bestimmen, außer dadurch, dass sie die Formen, in denen sie wirken, ihres ursprünglichen Sinns berauben müssen, hält man sich die Möglichkeit offen, bei Gelegenheit den politischen Feind und Sinnräuber wieder in ›Globalisten‹, ›Eliten‹ oder ›Impfregime‹ auszumachen, um sich der durch den Bahamas-Artikel möglicherweise vergraulten Gesinnungsgenossenschaft erneut zu versichern.

H.v.Z.

H.v.Z. erzählt dieses Mal selber einen Witz, der nicht witzig ist und auch keiner ist

Heft 20, Sommer 2022 Parataxis

Auf der Website des seit längerer Zeit glücklicherweise eingestellten Periodikums Magazin, auf der man seit der Coronapandemie die wirklich triftigen Anliegen einer Berliner Eckkneipe namens Laidak online vertritt, kündigte man zum Vorabend des Großen Vaterländischen Kriegs einen Vortrag unter dem Titel Die Zeitenwende: Nach Corona nun der Krieg – Von der Maske zum Stahlhelm an, der den Zusammenhang zwischen den »Corona-Regimes« und dem russischen Krieg in der Ukraine herbeisinnen will; es heißt dort unter anderem …

H.v.Z.

Thomas Bernhard erzählt einen Witz

Heft 20, Sommer 2022 Parataxis

Der Heidegger träumt: er sitzt vor seiner Hütte auf seiner Todtnaubergbank, näht gerade einen Hirschknopf an seinen Janker, da rattert von unten im Dorf ein Sherman-Panzer den Feldweg herauf. Er übertönt das Plätschern vom Brunnen mit dem Sternenwürfel. Elfride, wie so oft Strümpfe für den nächsten Winter strickend, schreit zu ihm herüber: »Martin, der Amerikaner kommt!« Als der Panzer eine kleine Tanne umfährt, schimpft der Schwarzwalddenker: »Alles ist boden- und ziellos« …

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Der Holocaustleugner in Andalusien: Roger Garaudy als Paradigma

Heft 16, Sommer 2020 Parataxis

Seit einiger Zeit schmückt sich die andalusische Stadt Córdoba nicht nur mit Denkmälern ihrer ›großen Söhne‹ Seneca, Averroes und Maimonides, sondern auch mit einem Monument für Roger Garaudy. 1987 hatte man ihm bzw. seiner Stiftung, der Fondación Roger Garaudy, den ganzen Torre de la Calahorra – einen imposanten Wehrturm aus dem 12. Jahrhundert, an der alten, ursprünglich römischen Brücke gelegen – für sein Museo Vivo de Al-Andalus zur Verfügung gestellt. … Garaudy war 1998 wegen Leugnung des Holocausts, rassistischer Verleumdung und Anstachelung zum Rassenhass zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten und Zahlung von 160 000 Francs verurteilt worden, wobei man sich auf das Buch Les Mythes fondateurs de la politique israélienne bezogen hatte.  Nicht zuletzt aufgrund dieser Verurteilung avancierte er noch im selben Jahr zu einem Star in der arabischen Welt, geehrt an Universitäten und bejubelt bei Großveranstaltungen unter anderem in Ägypten und Jordanien. Es zeigt jedoch, welche politische Macht heute die kontinuierlichste und wirksamste Stütze der Holocaustleugnung ist, dass Garaudy damals schon von jenem obersten geistlichen Führer des Regimes in Teheran empfangen worden ist, der zwanzig Jahre später nicht vergisst, seiner anlässlich des Jahrestags jenes Urteils in mehreren Tweets (z. B. unter dem Hashtag #FreedomOfSpeech) zu gedenken und dabei Garaudys »Mut« und »Unermüdlichkeit« zu preisen.

H.v.Z.

Wie man sich zurückhält

Ankündigung der »letzten Kämpfe« Israels in der Jungen Welt

Heft 15, Herbst 2019 Parataxis

Um die aktuelle – wie auch alle bisherige – US-Politik anzuprangern, zitiert Mellenthin rückblickend aus den Ausführungen des US-amerikanischen Außenministers Pompeo bei der Heritage Foundation vom Mai 2018: »Nach dem Deal: Eine neue Iran-Strategie« und verschweigt auch nicht eine entscheidende Passage aus dem letzten Punkt des Forderungskatalogs dieser Strategie: Hier fordert Pompeo nämlich, dass Iran »sein bedrohliches Verhalten gegenüber seinen Nachbarn beenden« müsse und konkretisiert an vorderster Stelle, dass dies »mit Bestimmtheit seine Vernichtungsdrohungen gegen Israel« einschließe. Unmittelbar an diesen letzten Punkt anknüpfend heißt es im Junge Welt-Artikel: »Mit der auch nur partiellen Erfüllung all dieser Forderungen müsste Iran sich der spezifischen, extrem parteiischen Sichtweise der US-Regierung auf die Region des Nahen und Mittleren Ostens unterwerfen.« Mellenthin dürfte eine Ahnung davon haben, was dieses Regime im Innersten zusammenhält, denn er fügt noch hinzu: »Ein solches Programm wäre allein mit den Mitteln einer strengen Wirtschaftsblockade nicht durchzusetzen. Es könnte allenfalls einer militärisch geschlagenen Nation diktiert werden.« (Junge Welt, 2.8.2019) Der innere Zusammenhalt, auch wenn er die Vernichtung Israels betrifft, wäre gegenüber der Unterwerfung unter den US-Hegemon in jedem Fall zu verteidigen.

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Die Einsamkeit Theodor Herzls, Neuauflage

Heft 14, Frühjahr 2019 Parataxis

Der Untertitel der Neuauflage des Buchs Neuer Antisemitismus?, in der die Aufsätze von Daniel Goldhagen und Jeffrey Herf keine Aufnahme mehr gefunden haben, müsste angesichts des Nachtrags, den Judith Butler beigesteuert hat, jedenfalls lauten: ›Akademische Fortsetzung einer globalen Debatte über den neuen Antisemitismus nebst Aufrufen zu dessen direkter Förderung‹. Im Vorwort schreiben die Mitherausgeber Doron Rabinovici und Nathan Sznaider über den neuen Beitrag von Judith Butler, der ihren alten für die erste Auflage an Feindschaft gegenüber Israel bei weitem übertrifft und sich mit ausgemachten Antisemiten gemein macht: »Judith Butler ruft dazu auf, sich durch BDS mit der palästinensischen Nationalbewegung zu solidarisieren, um den antirassistischen Kampf voranzutreiben und meint, so auch jenen Antisemitismus zu bekämpfen, der jüngst in Pittsburgh wütete. Dabei bemerkt sie in ihrem Beitrag durchaus, dass ihr Appell in den USA anders klingen mag als in deutschen Ohren – und tatsächlich wirkt der antiisraelische Boykott in Gaza ganz anders als in Berkeley, da wiederum ganz anders als im Paris der islamistischen Attentate gegen Juden und dort nochmals nicht so wie in Wien oder in Berlin, wo bei vielen noch andere Assoziationen, ob berechtigt oder nicht, geweckt werden.« Welche Assoziationen mögen hier gemeint sein? Vielleicht: »Kindermörder Israel«?

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Aufgeregtes Gezwitscher von den Nistplätzen der White Supremacists

Heft 12, Frühjahr 2018 Parataxis

Unter dem Titel »White Supremacists Defend Assad, Warn Trump: Don’t Let Israel Force You Into War With Syria« hat Allison Kaplan Sommer in der Haaretz vom 9. April 2018 gesammelt, was man in den Kreisen von Richard Spencer so alles twitterte rund um den israelischen Luftangriff auf die T-4 air base in Syrien, bei dem auch sieben Iraner, darunter ein Oberst der Revolutionsgardisten, getötet wurden. Die Journalistin staunt selbst ein wenig darüber, wie schnell diejenigen, die einmal »Hail Trump« brüllten, dazu übergehen können, Trump als Teil des Unheils jüdischer Weltverschwörung abzubuchen.

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Verjazzter Parsifal – oder: Weininger spielt heute Saxophon

Gilad Atzmon und die New Right

Heft 11, Herbst 2017 Parataxis

Der Zionismus, so viel soll klar werden, spaltet die Gattung ebenso wie der ›lesbische Separatismus‹ oder der radikale Feminismus – was auch immer man sich darunter vorzustellen hat. Im weiteren Verlauf ergänzt Atzmon seine Ansichten über den Zionismus, den er zwar zu Entstehungsbeginn befürwortet hätte, aber jetzt zu bekämpfen sich herausgefordert sieht, da er sich als Partikularismus erwies und nicht – wie von ihm erhofft, aber vom Zionismus für sich nie beansprucht – als Entfaltung einer universalen Idee. Das zeige sich im Umgang mit den ›Palästinensern‹. Darüber hinaus seien die Zionisten für globale Konflikte in Syrien, Libyen, Iran und im Irak verantwortlich zu machen, ganz einfach aus dem Grund, weil Israel keine Liebe zu seinen Nachbarn kenne.

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Die Wiederkehr F. D. Roosevelts als Donald Trump in Elsässers Compact

Exkursionen zu den Editorials der Barbarei, 3. Teil

Heft 10, Frühjahr 2017 Parataxis

»Fuck Trump! Der Typ ist irre geworden!«, titelt Elsässer in seinem Magazin für Souveränität. Mit den Luftschlägen gegen syrische Ziele habe Trump gemacht, »was sich nicht mal Obama getraut hat! Damit hat er seine eigenen außenpolitischen Grundsätze verraten! Damit provoziert er eine direkte Konfrontation mit Russland! Damit vollzieht er den Schulterschluss mit Neocons und Israel-Lobby, mit Erdogan und Merkel und all den anderen Aggressoren!« Elsässers Wort in Gottes Ohr: Jetzt sei auch klar, »dass die Personalentscheidungen der letzten Wochen – das Rauskegeln vom Putin-Versteher Flynn und des Antiglobalisten Bannon aus dem inneren Kreis – kein Zufall war. Trump hat sich gegen diese Richtung und für den Schulterschluss mit den Neocons in seiner Familie (Kushner) und in der Partei (McCain) entschieden.« Die Hoffnungen »auf ein Kondominium Putin-Trump« seien »von den Yankees zerschossen worden. Alle Hoffnungen der souveränen Nationen liegen jetzt wieder allein beim russischen Präsidenten.«

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Altes Europa jetzt neu bei Tumult

Exkursionen zu den Editorials der Barbarei, 2. Teil

Heft 09, Herbst 2016 Parataxis

Die Zeitschrift Tumult ist so etwas wie Compact für Intellektuelle, und hier fungiert Frank Böckelmann als Jürgen Elsässer: Er kritisiert im Editorial vom Sommer 2016 die »fadenscheinigen Sinnschablonen«: »Toleranz, Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Gleichberechtigung«. »Mit solchen Leerformeln, bloßen Teilnahmeregeln (Teilnahme woran?), soll die Solidargemeinschaft zusammengehalten werden.« Wodurch die Formeln zu Leerformeln werden, interessiert nicht. Wichtig ist nur eins: die Analogie zum Finanzkapital, früher sagte man ›raffendes Kapital‹: »Was sind sie anderes als soziale Entsprechungen des Finanzkapitals, überallhin konvertierbare Währungen?« Dem wird das ›schaffende‹ gegenübergesetzt, das nun einmal ein gestähltes Volk ausmacht, während sich mit dem »Gebrauch« der Finanzkapital-Leerformeln automatisch die »Hoffnung auf ein verhätscheltes Dasein« verbinde. »Dem Glauben an diese Kinderwelt zuliebe sollen die Reste des Unegalen abgeschafft werden – Nationen, Sprachen, Zugehörigkeit, Weiblichkeit/Männlichkeit, Mythen und Riten, kurzum, alle Lebens- und Sterbensgründe.« Das Wichtigste, in dem sich alles zusammenfasst, was so altbacken alteuropäisch daherkommt, es kommt zuletzt: die Sterbensgründe, also die Tötungs- und Todesbereitschaft.

H.v.Z.

»Die Protokolle der Weisen von Zion« jetzt neu bei »New Left Review«

Heft 08, Frühjahr 2016 Parataxis

Wenn Perry Anderson über das Haus von Zion spricht, gibt es nur einen einzigen Hinweis auf Nationalsozialismus und Shoah, dass nämlich in Europa, wo es zum Glück keine mächtige Israel-Lobby gebe wie in den USA, noch immer falsche Schuldgefühle die Außenpolitik bestimmten: »European guilt at the Judeocide ensures ideological commitment to Israel«, obwohl doch die Mehrzahl der Bevölkerung ganz anders denke. So ist es nur logisch, dass Anderson und die New Left Review die atomare Aufrüstung in Teheran nicht ungern sehen: »that would end Israel’s monopoly of nuclear weapons in the region«. Hier gilt der neue marxistische Imperativ: Denken und Handeln wieder so einzurichten, dass Auschwitz sich wiederhole.

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