Georges-Arthur Goldschmidt

Georges-Arthur Goldschmidt

Die deutsche Sprache unter dem Nazismus

Heft 21, Winter 2023 Essay

Die Deutschtümler werden, wie man sieht, sehr schnell vom Nazismus überboten, der sich mehr und mehr nur noch mit der Vernichtungspolitik beschäftigt. In sprach­licher Hinsicht hat die Deutschheit das zu beseitigende Feindbild, das ›Bild des Feindes‹, in vollkommener Weise bestimmt; ihre ganze Rolle zwischen 1900 und 1933 besteht darin, den Feind genau zu bezeichnen: also den Juden, den Kranken. Aber als der Vernichtungsapparat einmal aufgebaut war, brauchte man die Sprache nicht mehr; aus diesem Grund spielte Heidegger ab 1937 auch nicht mehr die führende Rolle im Naziapparat, zu der er sich berufen glaubte.

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Philosophie und Collaboration oder Martin Heidegger in Frankreich

Heft 20, Sommer 2022 Essay

So entfaltete sich nach 1968 ein richtiger geistiger Terrorismus, der den französischen Philosophen den Wind aus den Segeln nahm. Alle fühlten sich von nun an verpflichtet, deutsche Wörter in ihre Texte einzufügen, um philosophisch wahrgenommen zu werden, sonst wurden sie einfach als bavardeurs abgetan von irgendwelchen Pariser Schöngeistern, die selbst unfähig waren, sich eine Bockwurst zu bestellen. Deutsch hatten sie in den Büchern gelernt, kaum aber ahnten sie etwas von der lebendigen Alltagssprache und schon gar nichts vom brutalen und gewalttätigen Grundton der Texte Heideggers – wie sollte ein französisches Ohr erraten, was »schutzloser Markt der Wechsler« wohl bedeuten konnte, es kann auch nicht die unvermeidlichen jüdischen Wucherer darin heraushören.

Georges-Arthur Goldschmidt

Arbeit und Nationalsozialismus

Heft 18, Sommer 2021 Essay

1933, das heißt, einige Zeit bevor der Arbeitsdienst verpflichtend wurde, schrieb Heidegger einen Text mit dem Titel Arbeitsdienst und Universität, der in der Freiburger Studentenzeitung am 20. Juni 1933 erschien: »Künftig wird die Schule nicht mehr den ausschließlichen Rang in der Erziehung einnehmen. Eine neue und entscheidende Erziehungsmacht ist mit dem Arbeitsdienst aufgestanden. Das Arbeitslager rückt neben das Elternhaus, den Jugendbund, den Wehrdienst und die Schule. Im Arbeitslager verwirklicht sich die Stätte einer neuen unmittelbaren Offenbarung der Volksgemeinschaft. Der junge Deutsche bleibt künftig beherrscht vom Wissen um die Arbeit, in der sich die Kraft des Volkes sammelt … Das Arbeitslager ist zugleich ein echtes Schulungslager für das Führertum in allen Ständen und Berufen.« Einige Zeilen weiter benennt er das Arbeitslager als Erziehungsstätte und ergänzt: »Im Arbeitslager steht eine neue Wirklichkeit da.« Es ist für ihn ein »Sinnbild dafür, daß unsere hohe Schule der neuen Wirklichkeit des Arbeitsdienstes sich öffnet.« Es ist bedauerlich, dass Jean Beaufret, der die Äußerungen Heideggers sehr aufmerksam sammelte, eben diese nicht hinzufügte.

Georges-Arthur Goldschmidt

Ist da jemand?

Gemeinschaft oder Gesellschaft – Heidegger oder Sartre

Heft 11, Herbst 2017 Essay

Daß Sartres Recherche aber mit Der Ekel begann, ist genauso symptomatisch. Es ging darum, das Philosophische als die Verkörperung des »Gefühls der Existenz« von Jean-Jacques Rousseau faßbar zu machen. Das jeweilige augenblickliche Geschehen, als Begegnung von Menschen, war für ihn wie das Aufzucken des Philosophischen in seinem Sichtbarwerden. Daß sich dann auch Sartre nie vom Anekdotischen entfernte, sondern es immer mehr nach 1945 in den philosophischen Text einarbeitete, dürfte dessen tieferen Sinn bedeuten: daß überall immer wieder, fast alle zwei Seiten, jemand auftaucht, bezeugt den verzweifelten Versuch, den jetzt klaffenden Hohlraum innerhalb der Philosophie zu überbrücken. Dieser Hohlraum heißt Auschwitz als das Unandenkbare schlechthin. Daher das panische Verschweigen der Auschwitzfrage bei Heidegger als die Unmöglichkeit des eigenen Denkens, aber auch, als wäre das Schweigen über Auschwitz der tiefere von ihm selbst unerkannte Inhalt seines Denkens gewesen. Zu fragen gilt, was das Schweigen über Auschwitz eigentlich philosophisch zu bedeuten hat, ob es nicht der »stumme Tiefsinn«, wie Scholem es nennen würde, des heideggerschen Denkens ist, ob nicht sein Denken Auschwitz als Sinn enthält, was dann auch der Grund des Versuchs, im Nationalsozialismus aufzugehen, gewesen wäre, um es später zu verschweigen. Ist das das unbedachte, undenkbare Wesen seines eigenen Denkens?

Georges-Arthur Goldschmidt

Der Juden sich entledigen!

Über Peter Trawnys Buch »Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung«

Heft 07, Herbst 2015 Essay

Wie fortgeschritten auch immer die Assimilation, ja gar Fusion mit der deutschen Gesellschaft, für Heidegger sind und bleiben die Juden Deutschland völlig fremd – die alte, infantile Leier, die seit Luther endlos wiedergekäut worden ist. Dabei ist es erstaunlich, wie eifrig sich dieser »große Denker« die ältesten und abgedroschensten Klischees zu eigen macht. Alles, was er – neu verpackt in mediokrem, verschnörkeltem Deutsch – aufs Papier bringt, ist schon tausendmal wiederholt worden im Laufe der deutschen Geschichte, immer in den gleichen Termini.

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Ein Leben, ein Werk im Zeichen des Nationalsozialismus

Heft 06, Frühjahr 2015 Essay

Es ist verständlich, daß man in Paris versucht hat, diese bestürzenden Texte zu verschweigen, denn sie kompromittieren sein Denken grundlegend. Zum Wohle des »Denkens« sollte Heidegger unbedingt gerettet werden, so als wäre er nicht eben durch dieses Denken kompromittiert. Nunmehr wird man nicht mehr um die Feststellung herumkommen: Heideggers Nationalsozialismus liegt im Wesen seines Denkens, und es geht darum zu wissen, was das zu bedeuten hat.

Georges-Arthur Goldschmidt

Der Deutsche und das Ressentiment – eine Antwort auf Alain Finkielkraut

Heft 06, Frühjahr 2015 Essay

Es stimmt, wie Finkielkraut sagt, dass Heidegger den Biologismus Rosenbergs und der ersten Naziperiode verachtete, doch fordert er unermüdlich das Einführen von Zwang und »Zucht«, damit das »Deutschtum« über den Biologismus siegt. Wenn die französischen Fassungen von Heideggers Texten die Illusion von Denken verschaffen können, sind die steifen und brutalen oder gekünstelten und affektierten deutschen Texte durch ihren Wiederholungscharakter und ihre Gedankenlosigkeit eher erschreckend. Es gibt in Frankreich ein vollständiges Verkennen des Nationalsozialismus und seines besonderen »deutschen« Charakters. Hier war die Modernität am Werk, allerdings genau jene Heideggers. … Jene Modernität der »Todesmaschinerie«, die Alain Finkielkraut – Hannah Arendt und Raoul Hilberg zitierend – so gut beschreibt, ist auch in Heideggers »Denken« vollkommen vorhanden, wofür die von Farias zitierten Texte der philosophische Niederschlag sind. Diese Maschinerie wird nämlich von der Entschlossenheit und vom Einsatz bis zum letzten gesteuert, die Heidegger von seinen Studenten fordert, die ins Arbeitslager ziehen. Das Hitlersche Sein und das Heideggersche Sein – irgendwo aus der tiefsten Tiefe einer Vision des Deutschtums entstanden – sind von ein und demselben Wesen, wie der Schweizer Philosoph Max Picard bereits 1946 feststellte (L’homme du néant, Le Seuil, 1947), dessen Analysen der Modernität unvergleichlich origineller sind als die Heideggers.

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