Frank Müller

Frank Müller

Negativismus und Nihilismus

Adorno bei Kostas Axelos und in der französischen Zeitschrift Arguments

Heft 22, Sommer 2023 Essay

In einer langen Fußnote gibt er einen kurzen Abriss der bislang erschienenen Schriften Adornos bis zur Husserlschrift von 1956 und dem Hegelvortrag Aspekte der hegelschen Philosophie von 1957. Einen solchen Überblick hatte er bei Adorno unmittelbar zuvor brieflich angefragt, er spricht also nicht unbedingt für eine tiefe Auseinandersetzung mit Adornos Schriften, auch wenn Axelos dadurch den Eindruck erweckt, er würde bereits alle Arbeiten Adornos kennen. Im Zuge seiner Kontextualisierung neigt er wiederum dazu, Adorno einem breiteren hegelmarxistischen Zusammenhang zu subsummieren, was der Sache nach keineswegs ganz so falsch ist, in dem vorliegenden Zusammenhang aber wiederum nur Adornos epigonalen Charakter unterstreicht und außerdem Adornos beginnende Hegelkritik völlig unberücksichtigt lässt: »Adorno verortet sich in der Nachfolge Hegels und in der Gegenwart des Neomarxismus«, heißt es lapidar. Der hegelianische Neomarxismus ist für Axelos nun aber nicht gerade das Ziel der ganzen Geschichte, sondern vielmehr ein leidiges zirkuläres Totalitätsdenken, das man trotz aller Bemühungen nicht los werde: ein »dialektischer, magischer, höllischer, teuflischer Kreis. Heidegger hat das Verdienst, es anzuerkennen.« Allein Heidegger kann somit laut Axelos helfen, die magischen, höllischen, teuflischen Kreise der Dialektik zu durchschauen. Bereits im dritten Absatz seiner Einführung zu Adorno ist Axelos also bei einem Hoch auf Heidegger angelangt. Ganz folgerichtig wird umgehend auch Heidegger und Nietzsche in erster Linie die Fähigkeit zu einem tatsächlich neuen Denken zugesprochen. Von Adorno ist dann bei dieser Diskussion, die Axelos offenbar vorübergehend mit sich selbst führt, gar nicht mehr die Rede: »Trotzdem, das Bedürfnis nach einem neuen Denken, zu dem Nietzsche und Heidegger ihre Beiträge anbieten, macht sich heftig bemerkbar (bei wem?)«. Axelos antwortet sich indirekt selbst, indem er den Tonfall seines eigenen zukünftigen Projekts eines planetarischen Denkens im Spiel der Welt anstimmt: das Planetarische (Heidegger) ersetzt zusehends das Proletarische (Marx), trotz des intendierten Neomarxismus bei Axelos.

Frank Müller

Adornos Anfänge in Frankreich

Heft 22, Sommer 2023 Essay

Auch wenn es nach manchen deutsch-französischen Debatten und Kontroversen der letzten Jahrzehnte nach wie vor unwahrscheinlich erscheinen mag: Adorno selbst hatte keine Vorbehalte gegenüber Frankreich, er pflegte Zeit seines Lebens zahlreiche Kontakte nach Frankreich und er war an einem Austausch mit bestimmten französischen Intellektuellen sowie der Übersetzung und Rezeption seiner eigenen Arbeiten lebhaft interessiert. Mit dem Ende des Exils in den USA, nach der Entstehung der Dialektik der Aufklärung und großer Teile der Minima Moralia, stand er ab 1945 mit einer Reihe von französischen Freunden, Kollegen und Intellektuellen kontinuierlich in Kontakt. Er begann ab Mitte der 1950er Jahre erste Zeitschriftenartikel und Bücher in französischer Übersetzung zu publizieren und reiste ab Ende der 1950er Jahre für mehrere Vorträge nach Frankreich. Diese frühen Zusammenhänge einer französischen Adornorezeption fallen erst heute ins Auge, da Adorno nach dem Ende der strukturalistischen, poststrukturalistischen und postmodernen Moden in Frankreich auf großes Interesse stößt. Wie sich nun zeigt, hat dieser Zusammenhang eine eigene Geschichte. Diese Geschichte beginnt negativ und steht im Widerspruch zu Adornos ausdrücklichem Wunsch, in Frankreich als Theoretiker wahrgenommen zu werden. Sie verlief anfangs vereinzelt und zögerlich, enthielt verpasste Gelegenheiten und Irritationen. In diesem Sinne soll zuerst einmal skizziert werden, was die französische Adornorezeption entgegen naheliegenden Erwartungen nicht war.

Frank Müller

Kritische Korrespondenzen

Theodor W. Adornos und Robert Minders Heideggerkritik

Heft 19, Winter 2021/22 Essay

Minder ist also in der Zeit, als er den Kontakt mit Adorno suchte, bereits im Begriff, seine eigene Heideggerkritik in essayistischer Form zu formulieren. Adorno nimmt Minders Initiative begeistert auf, erinnert an die Möglichkeit, selbst in Frankreich publiziert zu werden, und er trifft Minder vermutlich auf einer Vortragsreise in Frankreich im Jahr 1958, die allerdings noch auf andere Einladungen zurückgeht. Unmittelbar danach beginnen über mehrere Briefe hinweg die Planungen für Minders Einladung ans Frankfurter Institut für Sozialforschung, wo Minder am 15. Juni 1959 einen Vortrag halten wird. Adorno berät Minder eingehend bei der Wahl des Themas und bis in die Formulierung des Titels hinein, wobei er auch seine Kritik am zeitweiligen Rückgriff Minders auf den Literaturhistoriker Josef Nadler, der im Nationalsozialismus seine Karriere steil fortsetzten konnte, nicht zurückhält, sondern Minders Vorgehen nur zu dem Zweck verstanden wissen will, dass durch ihn kultursoziologische Fragestellungen der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie entwendet werden.

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