David Hellbrück / Gerhard Scheit

David Hellbrück / Gerhard Scheit

»Nur auf den Akt des Überlieferns kommt es an: Ihm geht keine Verstehbarkeit voraus«

Diskussion zu Claude Lanzmann und Walter Benjamin – anlässlich Marc Sagnols Claude Lanzmann: Geheimadept Walter Benjamins

Heft 18, Sommer 2021 Essay

David Hellbrück: Das heißt zunächst … Shoah nicht nur – so wichtig es ist – auf den kulturindustriell verarbeiteten Vergangenheitsbewältigungskitsch zu beziehen, deren Aussöhnung er sich ohnehin schon verbietet, sondern auf sein Werk selbst – insbesondere auf diejenigen Filme, deren Stoff sich nicht aus den Dreharbeiten von Shoah ergaben: auf Pourquoi Israël (1973) und Tsahal (1994), werden dort – was die Linke insgeheim schon immer störte und die postnazistische Gesellschaft ohnehin beiseiteschob – die Juden nicht als Opfer präsentiert, sondern als jene, die sich die notwendige staatliche Gewalt aneigneten, um sich ganz nüchtern gegen den Antisemitismus qua zionistischer Kraftanstrengung zur Wehr zu setzen. Doch auch hier gibt es noch Unterschiede: während Pourquoi Israël noch den Aufbau Israels zeigt, in den Bannkreis des antikolonialen Befreiungskampfs gehört, eine Kritik an Jean-Paul Sartre ist (bei dem Lanzmann nicht bloß in die Schule ging, sondern von dem er sich, nebenbei bemerkt, glücklicherweise auch wieder abgestoßen hat), gewissermaßen also ein Film für die Linke Frankreichs ist, der ihr zeigen soll, dass der antikolonialistische Kampf nicht notwendig antizionistisch sein muss, braucht Tsahal auf diese Fragen keine Antwort mehr formulieren … Lanzmann, ein glänzender Zuschauer seiner Filme, schreibt über Tsahal: Der Film handelt von der »erneuten Wiederaneignung von Gewalt durch die Juden. Die Juden Europas waren zum Untergang verurteilt, weil sie über keinen politischen Status und keinen nationalen Staat verfügen. Sie waren überflüssig geworden, lebende Tote. In einer Welt, die sich aus Nationalstaaten zusammensetzt und in der nur der Staat Schutz bieten kann, hatten sie keine Chance …“

David Hellbrück / Gerhard Scheit

Eine Anmerkung zu Arbeit und Nationalsozialismus von Georges-Arthur Goldschmidt

Heft 18, Sommer 2021 Essay

Mit dem Text, der 1973 in der französischen Zeitschrift Allemagnes d’Aujourd’hui erschienen ist und hier zum ersten Mal in deutscher Übersetzung publiziert wird, liegt eine der ersten Interventionen George-Arthur Goldschmidts gegen die unkritische Heidegger-Rezeption in Frankreich vor, zahlreiche weitere aus seiner Feder sollten folgen (siehe hierzu die Beiträge von Goldschmidt in sans phrase 6/2015, 7/2015 und 11/2017). Nur auf den ersten Blick geht es dabei ausschließlich um den Nachweis von Heideggers Engagement für den Nationalsozialismus, der allerdings gerade damals keineswegs unwichtig war. Denn nicht nur deshalb, weil dieser Nachweis notwendig ein besonderes Augenmerk auf Heideggers Zeit als Freiburger Rektor legt, steht die thematische Konzentration auf die deutsche Ideologie der Arbeit im Mittelpunkt, die in diesen Jahren – da die anderen Arbeiterparteien sowie die freien Gewerkschaften eliminiert wurden – eine besondere Rolle in der Propaganda spielte. Zusammen mit dem nachdrücklichen Hinweis auf die Sprache Heideggers hat Goldschmidt damit das Deckbild für den Vernichtungswahn erfasst, den vier Jahrzehnte später erst die Publikation der Schwarzen Hefte zutage fördern sollte.

David Hellbrück / Gerhard Scheit

Jargon der politischen Ökonomie

Zum 201. Geburtstag von Karl Marx

Heft 14, Frühjahr 2019 Parataxis

Ein funktionierender National- und Sozialstaat, die vielbeschworene Normalität, bringe weniger Antisemiten hervor als ein zerfallender, der seine Grenzen nicht schütze. Eben dieses Motiv aber bringt seinerseits – wenn es den Jargon der politischen Ökonomie spricht, statt sich ihrer Kritik unterziehen – ganz selbsttätig das Feindbild hervor: ›Globalisten‹, die den funktionierenden National- und Sozialstaat unterminierten, denen also zugeschrieben wird, was in Wirklichkeit den vom Kapitalverhältnis gesetzten Zusammenhang von Nationalstaat und Weltmarkt ausmacht. Stattdessen wäre zumindest alles ›realpolitische‹ Gewicht – wenn man schon anders nicht mehr denken kann – auf die akkurate Denunziation zu legen, dass die inoffizielle Staatsräson von Merkel & Co., aber ebenso von Strache & Co., sowie nicht wenige der Stiftungsideen von George Soros auf die Unterminierung Israels hinauslaufen. Die politisch ökonomischen Voraussetzungen der Souveränität des jüdischen Staats und der Hegemonie der USA zu reflektieren, ist aber ebenso unnötig, will man den Nahen Osten bloß als moralische Anstalt betrachtet wissen, in der die EU-Länder eines Besseren belehrt werden sollen. Dem neuesten Eurozentrismus der Bahamas ist es offenbar gleichgültig, was vor Ort geschieht … So wie die Identifikation mit Trump eben nur erfolgt, um aufzutrumpfen, aber nicht, um sich – wie in einer »Gegenidentifikation« (Manfred Dahlmann) – die Bedingungen der US-Hegemonie vor Augen zu führen.

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