David Hellbrück

David Hellbrück

Versuch, Georges-Arthur Goldschmidts Vom Nachexil zu verstehen

Heft 17, Winter 2021 Essay

So erinnert Goldschmidt auch an den islamischen Terroranschlag auf die Redaktionsräume von Charlie Hebdo und den koscheren Supermarkt in Paris. Wobei er den Anschlag selbst nicht beim Namen nennen muss, schwebt ihm das Bild noch viel zu deutlich vor Augen, weshalb er den islamischen Terror lediglich in einer Asterisk-Bemerkung mit den folgenden Worten andeutet: »Es ist wieder da! (7. Januar 2018.)«. Das Licht auf das gegenwärtige Frankreich zu richten, wirkt alles andere als bemüht, weil er hier die Gefahr des islamischen Antisemitismus für die in Frankreich lebenden Juden erkennt. Diese Schrift ist auch aus diesen Gründen mehr als nur Epilog, weil Goldschmidt nochmals die Möglichkeit seines Denkens und Schreibens ins Bewusstsein hebt und so zugleich, indem er die Frage aufwirft, ob das Exil nicht verloren gehen kann, wenn die Bedrohung denn nicht aufhört beziehungsweise wieder, wenngleich auch in anderer Gestalt, aufflammt.

David Hellbrück

Josef K. in antisemitischer Gesellschaft

Über Franz Kafkas Process

Heft 13, Herbst 2018 Essay

Wahrscheinlich ist es Kafka nur dadurch möglich geworden, dass er von K. als Jude absieht. Dies mag im ersten Moment paradox klingen, erklärt sich aber dadurch, dass der Antisemitismus keineswegs an einzelnen Vorurteilen und Stereotypen festzumachen ist, sondern kapitalentsprungene Totalität ist. Und das ist Kafka wohl nur durch eine Kunst, die aufs Ganze zielt, wiederum möglich: »Darstellbar ist diese wirkliche Totalität aber nur – und das gehört zu den Geheimnissen der Kafkaschen Kunst, die sie dem Theologischen so naherücken – weil vollkommen von dem abstrahiert wird, was in Wahrheit die Individuen mit dem Staat identisch macht: vom nationalen Bewußtsein. Kafkas Individuen haben keine Nation, darum wird sichtbar, daß sie alle von einer unbekannten Macht besessen sind, ob sie es wollen oder nicht. Der nationale Wahn selbst wird nicht beschrieben, und nur so kann die ganze Gewalt, die er über die Menschen gewonnen hat, zur Sprache gebracht werden.« Kafka schafft es somit, auf die Situation der Juden in antisemitischer Gesellschaft zu reflektieren, ohne von ihnen als solchen überhaupt zu schreiben und kann gleichsam Wahrheit über Gesellschaft aussprechen, die nach Max Horkheimer den Antisemitismus ins Zentrum zu stellen hätte: »So wahr es ist, daß man den Antisemitismus nur aus unserer Gesellschaft heraus verstehen kann, so wahr scheint mir auch zu werden, daß nun die Gesellschaft angemessen nur durch den Antisemitismus verstanden werden kann.«

David Hellbrück

Konsequente Souveränisten (Teil II)

Über Staatsverweigerer, Reichsbürger und Selbstverwalter als militante Querulanten

Heft 11, Herbst 2017 Parataxis

Oft zu hörende Behauptungen, man könne doch aus geleisteten Steuerabgaben ein politisches Mitspracherecht ableiten, verkennen ebenso den durch die Steuer garantierten Selbsterhaltungszweck des Staates wie jene Katalanen, die aus denselben Gründen ihren Unabhängigkeitsstatus begründen möchten. Überhaupt, und das sei hier nur angemerkt, beruht das erste Scheitern der derzeitigen katalanischen Unabhängigkeitsbewegung darauf, dass sie die Zentralgewalt der Madrider Regierung verdrängt und nach dem denkbar schlechtesten Bündnispartner verlangt, den sie hätte wählen können: der Europäischen Union (EU). Dadurch, dass der ehemalige Vorsitzende des katalanischen Regionalparlaments, Carles Puigdemont, nach Brüssel floh, unterstrich er die auch unter Linken weit verbreitete Auffassung, die EU könne, als überstaatliches Bündnis und mit angeblich gleichen Entscheidungsbefugnissen wie ein nationalstaatlicher Souverän ausgestattet, den ewigen Frieden wahren. Die Euskadi Ta Askatasuna (ETA), die über 50 Jahre lang die baskische Unabhängigkeit durch Terror erzwingen wollte, war sich der dafür notwendigen Gewalt bewusst, obgleich sich hier wiederum die Gewalt wahnhaft verselbständigt hatte. Insofern zeugen die heutigen katalanischen Separatisten nicht einmal mehr von der Notwendigkeit einer falschen Ideologie, verdrängen ebenso wie die Konsequenten Souveränisten jene Gewalt, die sie tatsächlich erst souverän werden ließe. Umso mehr – auch das gehört zu ihrer Verblendung durch die EU-Ideologie – bereiten sie islamistischen Terroristen den Boden. Während die Katalanen ihre Unabhängigkeit qua Volksvotum erwirken wollen, setzen die Konsequenten Souveränisten ihre Gegenstaatlichkeit durch bloße Willkür und praktizieren durch quasi-staatliche Wirtschaftsdirektion ein Programm der Autarkie.

David Hellbrück

Claude Lanzmann in Wien

Heft 10, Frühjahr 2017 Parataxis

Lanzmann als Regisseur bedient daher auch kein Genre, das des Dokumentarfilms beispielsweise. Er selbst drückt sich mit jedem Film neu aus, einzig die Beziehungen zu bereits entstandenen Werken lassen sich skizzieren. In jedem Fall transzendiert das Kunstwerk den Künstler, der steht mehr oder minder im Schatten seines Werks – gerade deutlich wird das im Fall des Selbstporträts, da er sein Selbst zum Gegenstand macht. Wenn ein filmeproduzierender Künstler – und Lanzmann gehört zu den wenigen, die das Format des Films durch den Film bereits reflektieren – dann über seine Filme Auskunft geben soll, rücken ebendiese notwendigerweise in den Hintergrund, seine Person erstrahlt im Rampenlicht. Und genau hier ist die Problematik zu verorten, soweit die bloße Ikonisierung der Künstlerperson stattfindet, die eine kritische Distanz stillzustellen droht.

David Hellbrück

Konsequente Souveränisten

Reichsbürger als militante Querulanten

Heft 10, Frühjahr 2017 Parataxis

Die Verkennung des Gewaltmonopols zeigt sich bereits darin, dass der Reichbürger den Souverän nur als Firma wahrhaben möchte, um sich ihm gegenüber selber als der eigentliche Souverän zu imaginieren. Wie viele andere reimt auch Wolfgang P. sich zusammen, dass das Präfix Personal in Personalausweis belegen würde, dass der Besitzer jenes Ausweises Personal der BRD, die daher kein Staat, sondern ein Unternehmen darstelle – oftmals reduziert auf eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (›BRD GmbH‹). Diese Staatlichkeit sei einer Fiktion geschuldet und sobald die Bürger solcher vorgeblichen Staatsbürgerschaft nur entsagen, sei auch die BRD hinfällig. Unter Rekurs auf diese Argumentationsfigur, die für die konsequenten Souveränisten maßgeblich ist, erklärte er, handschriftlich dokumentiert und im Internet verbreitet, durch eine ›Lebendmeldung‹, seinen Staatsaustritt. Wolfgang P., der den Staat als Firma apostrophiert, kündigt damit, wie er es meint, sein Dienstverhältnis auf.

David Hellbrück

»Die Schüler des Muftis und Goebbels«

Was die Linke unter Luftpiraterie versteht

Heft 09, Herbst 2016 Parataxis

Jenes ›gestörte Verhältnis‹, als welches man den Nationalsozialismus betrachtet, soll, so die Intention des Herausgebers, seine Fortsetzung bis in alle Zukunft finden: linke Ontologie, die keine Spur von Utopie, die eine herrschaftsfreie Gesellschaft sich zu imaginieren versuchte, mehr in sich aufzunehmen bereit ist. Oder anders ausgedrückt: Indem das ›gestörte Verhältnis‹, an dem beide Parteien so eine Mitschuld tragen würden, ontologisiert wird, ist der wahnhafte Antizionismus, der das ›gestörte Verhältnis‹ fortsetzt, nicht weiter verwunderlich: Der permanente Versuch, den Staat der Juden von der Landkarte zu tilgen, findet somit eine Plausibilität, mehr noch: eine Rechtfertigung.

David Hellbrück

Heldenfernsehen

Über Fritz Bauer, Rache und Gerechtigkeit

Heft 08, Frühjahr 2016 Essay

Aus den Adenauer-Deutschen erwuchsen die Schindler-Deutschen, die heute um die Bauer-, Scholl-, Staufenberg- und Elser-Deutschen ergänzt werden. Alle Anstrengungen markieren einen Fixpunkt: die deutsche Geschichte ist um ihre mutigen, in Vergessenheit geratenen deutschen Heroen ergänzt und zu einem runden Bild abgeschlossen. Wie Lichtblicke werden Gestalten gefunden, die es in aller Nachträglichkeit erlauben, sich mit der eigenen Familiengeschichte ebenso wie mit der Geschichte der Nation restlos zu identifizieren, ohne sich der so profanen wie schlichtweg aufdrängenden Frage zu stellen, wie man sich zu Israel, der Staat gewordenen »militanten Liga gegen den Antisemitismus« (Jean-Paul Sartre), verhält.

David Hellbrück

Wiens Wilder Westen

Heft 08, Frühjahr 2016 Parataxis

Jede noch so groteske Szenerie kann allerdings gesteigert werden. Keine fünf Minuten später ziehen Autonome im schwarzen Dresscode vor die großflächigen Fenster des Cafés mit einem Bettlaken, auf dem zu lesen steht: »Gegen Gewalt und Faschismus – Pegida bekämpfen«. Beifallrufe von links, Unbehagen bei den Gästen, routinierte Empörung von rechts. Ein Herr steht auf, zieht den Vorhang zu und setzt sich wieder. Die unaufhaltsamen Autonomen lassen nicht ab und versuchen sich im eher trägen Stürmen des Ladenlokals. Die zierliche Kellnerin, die knappe 50 Kilogramm wiegen dürfte, hält die Tür versperrt. Erfolgreich. Einem der Vermummten gelingt es dennoch, eine geballte Faust durch den Türschlitz in den Laden zu strecken und vermutlich etwas gegen den Faschismus zu rufen. Die faschistische Drohung wurde gebannt. Alles läuft nach Schema. Alte Herren, die zweifelsohne unangenehm sein mögen, hatten ihre Aufmerksamkeit erhalten. Der linke Tisch triumphiert und zieht Kameras mit meterlangen Objektiven aus den Taschen und schießt Porträtfotografien und Ansichtskarten für das antifaschistische Fotoalbum. Die Gäste beeilen sich, nach der Rechnung zu fragen. Vorhang zu. Es wird Abend.

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