Danyal Casar

Danyal Casar

Die ewige Verschwörung gegen das Türkentum

Nicht erst seit dem 7. Oktober eskaliert der antijüdische Furor in der blutroten Republik

Heft 24, Sommer 2024 Parataxis

Wirkte Erdoğan in den ersten Tagen nach dem Pogrom vom 7. Oktober angesichts der Vielzahl an rivalisierenden antizionistischen Einpeitschern fast wie ein Getriebener, gelang es ihm bald darauf wieder, sich als Oberhaupt der faschistischen Agitatoren zu inszenieren. Bei der Istanbuler Massenchoreografie am 28. Oktober, zu der die türkische Staatsfront aufgerufen hatte, drohte er Israel unverhohlen damit, dass »wir eines nachts unerwartet kommen« könnten. Die Masse an Brüllvieh sekundierte: »Hier ist die Armee, hier ist der Kommandeur«. Das antizionistische Geschrei verrät vor allem die eigenen revanchistischen Gelüste der nationalen Entgrenzung. So sprach Erdoğan am 28. Oktober unverhohlen davon, dass Gaza, Skopje, Thessaloniki, Mossul und Aleppo ihnen ebenso gehöre »wie unser Blut und unsere Seele«. Und natürlich raunte Erdoğan an jenem Tag auch von den Dunkelmännern hinter den »erbärmlichen Terroristen« in Nordsyrien. Sein antiimperialistischer Opfermythos ist projizierter Geltungsdrang, in Unschuld sich verhüllende imperiale Aggression.

Danyal Casar

»Wir hassen deine Religion, verflucht sei deine Moral«

Notizen über Beginn und Ende der Islamischen ›Republik‹ im Iran

Heft 22, Sommer 2023 Parataxis

Wird die kurdische Avantgarde innerhalb der revolutionären Erhebung von den verschiedenen Fraktionen der iranischen Opposition durchaus anerkannt und von manchen, wie der im US-amerikanischen Exil lebenden Feministin Masih Alinejad, deutlich hervorgehoben, mehrten sich in jüngster Vergangenheit wieder Konflikte um die Frage der territorialen Integrität des Irans. In Mahabad und Saqqez, in Sardasht und Paveh, in Divandarreh und Sanandaj standen sich zwischen 1979 und 1983 militante Kurden und die Wächterarmee dort gegenüber, wo auch heute die Grundzüge der Revolution gegen das khomeinistische Regime vorgeführt werden. Als da wären: 1. die Beteiligung der ruralen Peripherie, um die Beweglichkeit der Repressionsmaschinerie zwischen den urbanen Zentren zu erlahmen, 2. die militante Organisierung der Jugend und 3. der Generalstreik. War eine überwältigende Mehrheit innerhalb der Opposition Ende der 1970er bereit, unter dem drohenden Gebrüll »Allahu Akbar« zu marschieren, schleudern die heutigen Revolutionäre im Iran den Mullahs Slogans wie »Wir hassen deine Religion, verflucht sei deine Moral« entgegen. Sie wollen kein Regime aggressiv antiisraelischer und projektiver Krisenexorzierung. Sie wollen kein militaristisch-okkultes Regime aus Klerus und einer militant-mafiotischen Armee der Wächter der Islamischen Revolution, das sich die nationale Ökonomie zur Beute gemacht hat. Und sie wollen kein Regime, in dem die Unterwerfung der Frauen eine heilige Säule des Gemeinwesens ist. Es wäre zu hoffen, dass eine Opposition, die darin ihren Minimalkonsens gefunden hat, nicht an nationaler Borniertheit zerbricht.

Danyal Casar

Ein »Akt europäischer Souveränität«

Notizen zur Kumpanei mit der khomeinistischen Despotie und der Türkei der Grünen Wölfe

Heft 13, Herbst 2018 Parataxis

Die Türkei wälzte das säkulare Afrin zu einem Pseudo-Emirat um, in dem einzig die Entführungsindustrie und die Produktion von Snuff-Filmen floriert und islamistische Warlords als Pseudo-Emire um die Beute rivalisieren. Die ezidischen Gemeinden in Afrin sind verwaist. Auf der Straße herrscht für Frauen die Zwangsverschleierung, wo zuvor die Befreiung der Frauen als einer der zentralen Grundpfeiler des föderalen Gemeinwesens ausgerufen wurde. Während die Türkei den Nordwesten Syriens unter ihr Diktat zwingt, werden syrische Kurden aus Afrin vor türkische Gerichte gezerrt und der »Zerstörung der Einheit des türkischen Staates« beschuldigt. Doch anders als die »Causa Özil«, die zur Sinnkrise deutscher Integrationspolitik wurde, provozierten die Bilder deutscher Panzergefährten mit türkischer Besatzung, die mit Wolfsgruß und Seite an Seite mit islamistischen Mordbrennern in Afrin einrollten, keine deutschen Befindlichkeiten.

Danyal Casar

Türkische Katastrophenpolitik

Über einen baldigen Beitrittskandidaten der EU

Heft 08, Frühjahr 2016 Parataxis

Im Jahr 1997 traf sich Necmettin Erbakan – einige Wochen nach dem sanften Coup des Militärs – in seiner Sommerresistenz in Altınoluk an der türkischen Ägäis mit Jean-Marie Le Pen. Details der Unterredung wurden nicht veröffentlicht, einzig, dass sich beide über eine engere Kooperation verständigt hätten. Der Franzose Le Pen erklärte, dass ihn das Erstarken des Islam in der Türkei erfreue und darin auch ein Gewinn für das Nationale liege. Nach Erbakans Niederlagen gegen das Militär manövrierten ihn seine Ziehsöhne Erdoğan und Gül ins Abseits, er verstarb im Jahr 2011. Der exzentrische Übervater der französischen Front National, Jean-Marie Le Pen, wurde von seiner leiblichen Tochter Marine innerhalb der Partei isoliert. Doch das ideologische Milieu der beiden ist dasselbe geblieben. Das höchste ist diesem der Staat als Familie, die Gewalt des Souveräns als väterliches Patriarchat, Zwang als Kultur. Konsequent ist da die Feinderklärung von Jean-Marie Le Pen an die Kosmopoliten von Charlie Hebdo nach dem Massaker vom 7. Januar 2015, die Satiriker hätten einen »anarchistisch-trotzkistischen Geist, der die politische Moral zersetzt«. Kaum wahrgenommen wurde, weil der kalte, kulturrelativistische Blick dem totalitären Anspruch der Despotie auf geschlossene Einheit gleicht, dass in Ankara von jungen Militanten eine Solidaritätsdemonstration für die Toten des Massakers vom 7. Januar abgehalten wurde. Als sich in ihrer Nähe islamistische Freunde des Todes aufstellten, wurden diese augenblicklich in die Flucht geschlagen.

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