Alfred Schmidt

Alfred Schmidt

Lévi-Strauss versus Sartre

Heft 10, Frühjahr 2017 Essay

Bei gleichlautender Terminologie ist der Gegensatz von Praxisphilosophie und strukturaler Ethnologie unübersehbar. Lévi-Strauss versteht die Begriffe Sartres völlig anders als dieser. Daher die offenkundigen Mißverständnisse. Wenn Sartre die analytische Vernunft der dialektischen gegenüberstellt, dann nicht wie Irrtum und Wahrheit, sondern wie stets begrenzte Wissenschaft und Philosophie. Hegel, sein Gewährsmann, hat ihn darüber belehrt, daß Vernunft, obwohl an sich das Höhere, nicht ohne den Verstand auskommen kann, wohl aber dieser ohne sie. Da die Marxisten es allzulange versäumt haben, die »neuen«, analytisch aufbereiteten »Erkenntnisse über den Menschen« in ihre Theorie des Verlaufs unserer Epoche »zu integrieren, … ist der Marxismus verarmt«. Für Sartre bildet, anders gesagt, das analytische, im Hegelschen Sinn abstrakte Wissen ein unabdingbares Moment der Wahrheit des konkret-dialektischen. Beide Typen von Rationalität führen deshalb auch nicht einfach zu den nämlichen Wahrheiten, sondern sind, im Prozeß der werdenden Wahrheit, wechselseitig aufeinander verwiesen.

Alfred Schmidt

Zum Erkenntnisbegriff der Kritik der politischen Ökonomie

Heft 08, Frühjahr 2016 Essay

Hundert Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes des Marxschen Kapitals sind die Schwierigkeiten, dieses Werk angemessen zu beurteilen, nicht geringer geworden; sie haben eher zugenommen. Beschwerte sich Marx schon im Nachwort zur zweiten Auflage darüber, wie wenig seine Methode verstanden worden sei, so hat sich die Lage seither noch verschlechtert. Sieht man von den nach wie vor wirksamen außertheoretischen Hemmnissen, den grob-materiellen und politischen Interessen ab, die eine ernsthafte Rezeption der ökonomischen Seite des Marxismus in der bürgerlichen Welt beeinträchtigen, wenn nicht gar unterbinden, dann bleibt die große Verlegenheit zu erörtern, die das Marxsche Unternehmen dem gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Bewusstsein bereitet, das den geschichtsfremden Kriterien ›operationeller‹ Rationalität verhaftet ist. Eine Verlegenheit, mit der bereits die dem dialektischen Denken fern stehenden Zeitgenossen von Marx nicht fertig wurden, die darüber debattierten, ob er im Kapital positivistisch oder metaphysisch, analytisch oder synthetisch, induktiv oder deduktiv vorgegangen sei. …Weder ist die Marxsche Lehre Einzelwissenschaft von der Wirtschaft, Politik oder Geschichte (oder deren Kombination) noch Philosophie oder Anthropologie im spekulativ-idealistischen Sinn. Auch der zu Marxʼ Zeiten bereits geläufige Begriff ›Soziologie‹ fehlt in seinen Arbeiten. Für Marx gibt es keine sozialen Tatsachen an sich, die sich neutral und abgelöst vom natürlichen, historisch-ökonomischen, psychologischen und politischen Schicksal der Menschen untersuchen ließen. Dennoch bleibt das Kapital ein Werk gelehrter Forschung mit entschieden theoretischem Anspruch. Sosehr sein Begriff von Wissenschaft mit der Idee revolutionärer Weltveränderung verbunden ist, sowenig erblickt Marx im Denken ein agitatorisches Instrument, das sich einem zu erreichenden Effekt unterordnet. »Einen Menschen«, schreibt er in den Theorien über den Mehrwert über Malthus, »der die Wissenschaft einem nicht aus ihr selbst (wie irrtümlich sie immer sein mag), sondern von außen, ihr fremden, äußerlichen Interessen entlehnten Standpunkt zu akkommodieren sucht, nenne ich ›gemein‹«.Das Kapital ist kein Aufruf zu rascher Tat, sondern der bislang gründlichste und umfassendste Versuch, »das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen«, das heißt »die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als … naturgeschichtlichen Prozeß« zu begreifen.

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