Alex Gruber

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Der erste Poststrukturalist: Zu Heideggers Ereignis-Philosophie

Von Martin Heideggers Kampf gegen das »planetarische Verbrechertum« zu Alain Badious globalisierter »Intifada«

Heft 23, Winter 2024 Essay

Genau in dieser Hinsicht erweist sich Heideggers Antisemitismus als der zukunftsweisende. Nicht umsonst erinnert die Vorstellung einer jüdischen Verfallenheit an das bloß Seiende, die in ihrem Ausweichen vor dem Tod niemals ans Sein rühren könne; und der Opfer und Vernichtung entgegenzusetzen seien, um der Vor- und Übermacht eben jenes andrängenden Seienden zu wehren, an die Parole, die Islamisten heute dem als jüdisch verstandenen Westen wie dem jüdischen Staat Israel entgegenrufen: »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod!« Nach der militärischen Niederringung des Nationalsozialismus nimmt Heidegger dann eine weitere und letzte Überbietung seiner ›Kehre‹ zum ›Ereignis‹, die eine Abkehr von der Subjektivität war, vor, die ihn inhaltlich endgültig zum großen Referenzpunkt des Poststrukturalismus werden ließ, der sich fasziniert zeigt von Heideggers stets aufs Neue variierter Formulierung, der Mensch sei lediglich als eine Ereignung, ein Effekt oder ein Anhängsel des Seins zu begreifen. »Die Lehre von der Vorgängigkeit des Ganzen über die Teile verzückte in den Jahren um die erste Publikation von Sein und Zeit als Leitbild das gesamte apologetische Denken wie heute noch die Adepten des Jargons«, schrieb Adorno 1964 bereits einige Jahre vor Heideggers endgültigem Reimport nach Deutschland über französische Poststrukturalisten wie Jacques Lacan, Michel Foucault oder Jacques Derrida.

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Revisionismus von links

Der ›multidirektionale‹ Angriff auf das Holocaustgedenken und den jüdischen Staat

Heft 21, Winter 2023 Parataxis

Deutlich wird dies, wenn mit Amos Goldberg einer der vom Goethe-Institut geladenen Diskutanten der lautgewordenen Kritik mit der Formulierung entgegentreten wollte, es gehe der geplanten Veranstaltung nicht darum, »Vergleiche zwischen dem Holocaust und der Nakba zu ziehen«, sondern um die Verarbeitung katastrophaler Erinnerungen an Ereignisse, »die sich in einer Situation des Konflikts, der Besatzung und der Apartheid stark voneinander unterscheiden«. Für diese anti- oder postkolonialistisch argumentierenden Einwände mögen sich die erinnerten Ereignisse an der Oberfläche zwar so stark voneinander unterscheiden wie die europäische Besiedelung Nordamerikas oder Südafrikas, die nationalsozialistische Vernichtung des europäischen Judentums oder die kriegerischen Auseinandersetzungen im Zuge der israelischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Zugleich jedoch soll das zugrundeliegende Feld, auf dem sich diese unterschiedlichen Ereignisse abspielen, doch immer dasselbe sein, das durch dieselben Vektoren aufgespannt wird – sodass es notwendigerweise keine prinzipiellen Unterschiede mehr geben kann: Die unter dem Begriff Holocaust gefasste Judenvernichtung soll ebenso »Konflikt, Besatzung und Apartheid« geschuldet sein wie die Nakba genannte Staatsgründung des jüdischen Staates samt ihrer Flucht und Vertreibung einschließenden Auswirkungen auf die arabische Bevölkerung des britischen Mandatsgebiets Palästina, die in nicht geringen Teilen das Resultat der prinzipiellen Ablehnung jüdischer Souveränität durch die arabischen Akteure, ihrer Verweigerungshaltung gegenüber jedem Kompromiss und ihrem bewaffneten Kampf gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen des Jischuw waren.

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Grenzen der Kunstsoziologie und Autonomie des Kunstwerks

Leo Löwenthal, Theodor W. Adorno und die kritische Theorie der literarischen Moderne

Heft 20, Sommer 2022 Essay

Doch solchen Fragen stellt Löwenthal sich nicht, für ihn sind Hamsuns Romane allein deswegen keine Kunstwerke, weil in ihnen die Versöhnung positiv nicht vorkommt. Stattdessen spricht er von Desorientierung, »müder Resignation«, gar von »soziale[m] Defätismus«. Besonders deutlich wird das etwa, wenn er Eduard Bernsteins Rezeption des Hamsunschen Werks lobt. Der deutsche Sozialdemokrat schreibt, dass Hamsun abzulehnen sei, weil in seinen Romanen nicht lebendige Menschen dargestellt, sondern Stimmungen gestaltet würden, die mit auf Emanzipation gerichteten Tendenzen nicht das Geringste zu tun hätten. Bernstein will also unmittelbar politische Kunst und formuliert ein letzten Endes geradezu banausisch gegen Avantgarde und Abstraktion im Allgemeinen gerichtetes Ressentiment, weil diese den Leser von der richtigen Politik abhielten. So schreibt er, Hamsuns Werk zeuge »von einer starken Neigung zu verzerren und den Leser zu foppen … Und wenn die Abgerissenheit der Gespräche, die Abgerissenheit der Szenen, die Abgerissenheit der ganzen Handlung des Romans – soweit von Handlung überhaupt die Rede sein kann – nicht in der Blasiertheit oder Nervosität des Verfassers wurzeln, so sind sie jedenfalls sehr geeignet, den Leser nervös und blasiert zu machen.«

Literatur soll also keinen Schock versetzen und nicht nervös machen, sondern Mut, Hoffnung und Zuversicht spenden sowie auf politische Notwendigkeiten hinweisen. Auch wenn Löwenthal das so explizit nicht selbst schreibt, so zitiert er dennoch Bernstein zustimmend, bei dem alle Zutaten des sozialistischen Realismus schon versammelt sind, was erneut darauf hinweist, dass sein Kunstbegriff letzten Endes doch auch auf etwas abzielt, das Adorno als engagierte Kunst bezeichnete und kritisierte. Dementsprechend äußerte Adorno sich Horkheimer gegenüber auch kritisch zu Löwenthals Hamsunaufsatz: »Was die Arbeit von Löwenthal angeht, so ist mir wenig wohl zumute. Er handhabt die übernommenen Kategorien des dialektischen Materialismus in einer Weise, die der roten Tinte des Lehrers nicht ganz unähnlich sieht und mißt, ohne allen historischen Takt […] in einer recht vorschnellen Weise alles an seinen Begriffen von Materialismus. Dabei kommt dann eine Art Gemetzel heraus, bei der man das Gefühl hat, daß die hingemachten Opfer nur allzu leicht wiederauferstehen können.«

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Speerspitze des postkolonialen Antisemitismus

Achille Mbembes ›Nekropolitik‹ als Handreichung für deutsche Erinnerungskultur

Heft 17, Winter 2021 Parataxis

Die Frage, die Mbembe schon in seinem Essay Israel, die Juden und wir von 1992 stellte – wie aus den ›Opfern von gestern‹ die ›Verfolger von heute‹ geworden sein können, die den »krankhaften Willen zum Nichts« des Holocaust verinnerlicht und so den »Platz der Mörder« eingenommen hätten –, findet hier eine Antwort. Insofern das »Transzendente« der von Israel instituierten ›Opferreligion‹ – anders als im palästinensischen Märtyrertum – niemals im »eigenen Tode gegründet ist, muss es der Opfertod von jemand anderem sein, durch welches das Heilige sich etabliert.« In der Behauptung, die Israelis würden die Palästinenser ihrem vergöttlichten Allgemeinwesen zum Opfer bringen, unterstellt Mbembe dem jüdischen Staat nicht nur die Wiedereinführung des Menschenopfers, welches das Judentum historisch abgeschafft hatte, sondern liefert auch eine Neuauflage der klassischen Ritualmordlegenden. Wie schon in Necropolitics nimmt Mbembe auch hier wieder die Unterscheidung zwischen Südafrika und Israel vor: Während es ersterem mit der Einrichtung einer Versöhnungskommission nach der Überwindung der Apartheid gelungen sei, der Gefahr der Errichtung eines solchen Opferfetischs zu entgehen, habe letzteres – von der Erfahrung der Judenvernichtung getrieben, die es zu seinem nationalen und damit partikularen Narrativ gemacht habe – solch eine Opferreligion, die zugleich auch eine Opferökonomie darstelle, aufgerichtet: »Jene Staaten«, so beschließt Mbembe den Gedanken, »die sich hauptsächlich als Opfersubjekte definieren, erweisen sich allzu oft als von Hass erfüllte Subjekte, das heißt als Subjekte, die niemals aufhören können, den Tod zu mimen, indem sie andere opfern und ihnen all jene Grausamkeiten zufügen, welche sie einst selbst als Sühneopfer zu erleiden hatten.«

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Ontologie des Mangels in Ermangelung des ›absoluten Feinds‹

Zur Renaissance des Begriffs des Politischen

Heft 12, Frühjahr 2018 Essay

Was die zeitgenössischen Denker des Politischen Carl Schmitt vorwerfen, müssen sie notwendiger Weise aber selbst reproduzieren: die Annahme eines Allgemeinen, vor dem überhaupt erst vom Kontingenten oder Besonderen gesprochen werden kann, während andererseits ein Allgemeines zugleich immer auch auf das Besondere verweist, dessen Allgemeines es ist. Das Umfassende des Politischen und seiner Differenz etwa ist durch ein herrschaftlich bestimmtes Subjekt-Objekt-Verhältnis vermittelt, dessen Allgemeines es darstellt – das damit zwar als durch die sprachliche Vermittlung hindurchgehend, aber in ihr nicht aufgehend zu denken wäre. Während Carl Schmitt von den Theoretikern der Kontingenz dafür kritisiert wird, dass er das Allgemeine als vordiskursives Faktum betrachte und nicht als bloßes Resultat des Diskurses, schleicht sich ein ebensolches Allgemeines notwendig in die Kritik selbst immer wieder ein. Dieses Problem wird aber nicht zur Kenntnis genommen und reflektiert, was bedeuten müsste, die Theorie der diskursiven Konstruktion zu verwerfen. Vielmehr wird es ›gelöst‹, indem die Kontingenz zum Allgemeinen erhoben wird. Diese soll schließlich allein aus dem Grund kein Allgemeines sein, da sie ja die Kontingenz beziehungsweise die Differenz sei, die in ihrer Grundlosigkeit und Unentscheidbarkeit das ganz Andere eines Allgemeinen darstelle.

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Benjamin in Palestine

Vom Ursprung des postmodernen Trauerspiels

Heft 08, Frühjahr 2016 Essay

Auf all diese Probleme und Widersprüche aber will die postmoderne Wiederentdeckung des Politischen nicht reflektieren. Vielmehr macht sie aus Benjamin einen dezisionistischen »An-archisten« und linken Wiedergänger Carl Schmitts: einen Theoretiker der aus dem Nichts der bloßen Entscheidung entspringenden politischen Formen, der dem in »grund-loser« (Gewalt‑)§Tat gestifteten Recht mit einer »an-archischen« Wendung gegen das Gesetz geantwortet habe. All seiner theologisch-transzendentalen Momente entkleidet, die dem postmodernen Denken notwendig als Paradefall einer métaphysique de la présence (Derrida) erscheinen müssen und die es dementsprechend auszutreiben hat, um sich Benjamin einverleiben zu können, bleibt von dessen Denken wenig übrig als das postulierte »grammatologische Moment« von Gesellschaft. Benjamins Geschichts- und Sprachphilosophie wird verdünnt zu der Behauptung, die gegenwärtige Gesellschaft sei durch homogenisierende Narrative konstruiert und könne dementsprechend durch destabilisierende Konstruktionen geöffnet und offen gehalten werden für heterogene und plurale »Ereignisse des Politischen«.

Doch nicht nur Benjamins Denken, auch sein Tod auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus, so wird die Theorie von der dezisionistischen Konstruktion der gesellschaftlichen Formen schließlich konsequent weitergesponnen, erzähle »die Geschichte von der Arbitrarität der staatlichen Macht, der staatlichen Gewalt und ihrer Rechtsprechung über das nackte Leben«, gegen die eine »Tradition der Unterdrückten gegen jede Form der Beherrschung« stark zu machen sei – wie es in der Einladung zu einer Internationalen Walter-Benjamin-Konferenz heißt, die sich den »politischen Kämpfen in Palästina« verschrieben hat. Wie in der Theorie vom Recht als kontingenter Schöpfung ex nihilo von aller gesellschaftlichen Vermittlung und Bestimmtheit abstrahiert wird, so soll auch kein Unterschied sein zwischen dem Staat westlicher Prägung, dem nationalsozialistischen Unstaat und dem als Konsequenz auf die Vernichtung des europäischen Judentums gegründeten Staats, der folgerichtig dann auch als Ausweis für die »Arroganz jeder staatlichen Macht« zu fungieren hat sowie als »Repräsentanz der Geschichte der Sieger«; und damit als ideale Ausprägung eines »Besatzungsregimes«. Nur die in dieser Gleichmacherei beschlossene Willkür, will heißen: das eigene Ressentiment vermag es, aus dem dem jüdischen Messianismus verpflichteten und von den Nationalsozialisten in den Tod getriebenen Walter Benjamin einen antizionistischen Kronzeugen für den eigenen Hass auf Israel zu machen – wie es die unsägliche, unter der Ägide von Susan Buck-Morss, Slavoj Žižek und Judith Butler stattfindende Konferenz in Ramallah im Dezember 2015 vorexerziert hat.

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Der globale Minotaurus und der verlorene Faden des Wirtschaftsprofessors Varoufakis

Heft 06, Frühjahr 2015 Parataxis

Es soll also ein Souverän geschaffen werden, dem diesmal wirkliche Macht zukomme, die nationalen Egoismen und die Hybris der Finanzmärkte an die Kandare zu nehmen, um so einestabile Wirtschaftsordnung herzustellen, in der die Industrie, befreit vom Gängelband der Spekulanten, sich »auf ihre Kernaufgabe konzen trieren (›Dinge‹ gut herzustellen)« könnte. Der Wahn, die Herrschsucht und die Strafphantasien, die in solchen Vorstellungen stecken, werden kaschiert, indem Varoufakis der Wall Street unterschiebt, unrechtmäßig schon zu besitzen, was er selbst für seinen »Mechanismus zum Überschussrecycling« beansprucht: die Macht, global zu herrschen – und indem er gleichzeitig den USA andient, die Seite zu wechseln und sich unter die Kämpfer für eine mögliche andere Welt einzureihen.

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»Nun beginnt der Kampf um die Postmoderne«

Alexander Dugin und der russische Aufstand gegen die Vernunft

Heft 05, Herbst 2014 Essay

Mögen es (fern-)östliche Theologien sein oder mystische Strömungen, archaische Mythen oder irrationalistische Philosophien; all dies, worauf Dugin sich immer wieder positiv bezieht, ist für sein Denken nur insoweit von Belang, wie es sich als Modell des Gegensouveräns inszenieren lässt und damit als Aufruf zum »globalen Kreuzzug gegen die USA, den Westen, die Globalisierung und deren politisch-ideologischen Ausdruck, den Liberalismus«. Darin erweist sich der ontologische Seinsbegriff ein weiteres Mal als Resultat der Hypostasis subjektiver Sehnsüchte und Bedürfnisse: als Instanz verordneter Archaisierung, die nur als Regression zu haben ist. Wenig überraschend erweist sich Dugin dann auch als großer Freund der islamischen Erweckungsbewegung, der er attestiert, »exakt eine Zivilisation [zu sein], die ihre Besonderheit und ihre Unterschiede zu anderen Zivilisationen immer deutlicher erkennt, in erster Linie in Abgrenzung zur liberal-westlichen Zivilisation, die die islamische Welt aktiv mit Füßen getreten hat im Laufe der Globalisierung.« Dementsprechend plädiert er dafür, den Islam in die „antiglobalistische und antiimperialistische Front“ einzubeziehen, deren gemeinsame Grundlage der »Haß auf die gegenwärtige soziale Realität« darstelle – wobei seine besondere Bewunderung dem Iran gilt, der bereits heute der »westlich-amerikanischen Hegemonie« direkt widerstehe. Dugin möchte also Russland und die Orthodoxie mit dem Islam verbünden und gibt damit so etwas wie eine ideologische Unterfütterung für beziehungsweise Begleitmusik zu Putins zunehmender Annäherung an Teheran.

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Das Duell Žižek vs. Derrida oder: Wenn der frühe Heidegger den späten kritisiert – und die Schwarzen Hefte beide vereinen

Heft 04, Frühjahr 2014 Essay

Es erinnert an einen Wiederholungszwang: Heideggers Denken scheint um jeden Preis gerettet werden zu müssen – und sei es um den Preis des Denkens selbst. Daran kann auch die Veröffentlichung der Schwarzen Hefte, in denen der Antisemitismus, der seinem Werk inhärent ist, nun auch manifest ersichtlich wird, genauso wenig ändern wie einst die Publikation Guido Schneebergers  oder vor einigen Jahren erst die Emmanuel Fayes; eher im Gegenteil: Noch die kritischen Stimmen, die Heideggers Antisemitismus offen benennen, stellen im Anschluss daran die bloß scheinbar kritische Frage: »Darf ein Philosoph, den viele für den grössten des 20. Jahrhunderts halten, sich so verirren?« Statt sich einer Kritik der Existenzialontologie zu widmen, die Heidegger als deutschen Ideologen katexochen kenntlich macht, zeigt man sich »›schockiert‹ angesichts des Antisemitismus der Notizbücher« und konstatiert, dass es dem Philosophen »misslungen ist, sein Denken gegen solche Tendenzen zu immunisieren.« So sehr steht das Bemühen um Rettung im Vordergrund, dass niemandem mehr paradox erscheint, warum ein Antisemit seine philosophischen Erwägungen gegen Antisemitismus hätte immunisieren sollen.

Alex Gruber

Platonismus vs. Gegensouverän

Zur neokonservativen und zur postmodernen Spinozalektüre

Heft 03, Herbst 2013 Parataxis

Das Anliegen von Strauss’ politischer Philosophie ist die Rettung der Ideale und Versprechungen des Liberalismus vor der im Liberalismus selbst angelegten Regression, die er in Carl Schmitt und Martin Heidegger präzise ausmacht. Es geht ihm um die Rettung der Vernunft, für die er einen Punkt jenseits der Vernunft braucht, damit diese nicht in sich selbst leerläuft. Weil dies Strauss dazu bringt, den Widerstreit zwischen Vernunft und Offenbarung, zwischen Immanenz und Transzendenz als unentscheidbar zu betrachten, kritisiert er jeden Versuch, diesen Widerstreit zu eliminieren, indem er auf einen gemeinsamen Urgrund, ein Sein etwa, zurückgeführt wird, als erschlichene Lösung, die Teil des Problems und nicht dessen Lösung sei.

Alex Gruber

»Palästina strebt nach Unabhängigkeit wie das Kino…«

Jean-Luc Godards Engagement gegen die Filmindustrie

Heft 02, Frühjahr 2013 Essay

Die phantasierte Übermacht eines mafiotisch-jüdisch-amerikanischen Kinos und seiner Erzählstruktur ist auch der Grund, den Godard für sein eigenes Scheitern angibt, zur angepeilten Unmittelbarkeit des Bildes vorzudringen. Er selbst sei noch von der »Pest Hollywoods« und dessen Kolonisierung des Bildes durch die Narration angesteckt: eine Infizierung, von der noch die gesamte Nouvelle Vague in ihrer lediglich scheinbaren Opposition gegen das traditionelle Kino geprägt gewesen sei.

Alex Gruber

Gegen die Sinnstiftung des Sinnlosen

Theodor W. Adornos »Soziologie und Philosophie« und die postmoderne Affirmation

Heft 01, Herbst 2012 Parataxis

Was Adorno in Bezug auf die Semantik der analytischen Philosophie, an die Judith Butler kritisch anschließt, feststellt, gilt in verstärktem Maße für die Diskurs- und Anredetheorie der Denkerin der Dekonstruktion: Die »isolierende Sprachkritik« ist durch den »Charakter des Fetischismus« bestimmt. Sie glaubt, dass »Trübungen und Trugtendenzen, die an der Sprache zu beobachten sind« in der zum Diskurs ontologisierten Struktur der Sprache angelegt sind, »anstatt dass die Worte stets gesehen werden als ein Wechselspiel, als ein Kraftfeld zwischen dem was sie in der Sprache sind, und dem was sie bedeuten, was eben die reale Gesellschaft ist.« Vielmehr ist von Butler das »Kommunikationsmittel Sprache gleichsam absolut gesetzt«; so absolut dass sie keinerlei Objekt außerhalb der Sprache gelten lassen und vielmehr jede Annahme eines Außersprachlichen als unzulässige Essentialisierung oder Substantialisierung perhorreszieren möchte. Darin liegt auch das zwangsläufig aktivistische Moment von Butlers Theorie, das, wenn die ihm zugrundeliegenden gleichermaßen totalitären wie regressiven Sehnsüchte allzu offensichtlich werden, so gerne abgespalten wird wie sonst nur Martin Heideggers NS-Engagement von seiner Philosophie; zugleich ist es jedoch gerade dieses Drängen zur Praxis, das die Theoretikerin so populär macht und ihr das Flair der Kritikerin verschafft – und damit auch den Adorno-Preis.

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Mit Paulus gegen Griechen und Juden

Alain Badious postmoderner Platonismus als Verewigung von Herrschaft

Heft 01, Herbst 2012 Essay

Gemäß der Badiouschen Bestimmung, dass über das Ereignis nichts ausgesagt werden darf, da es sonst mit einer Essenz versehen und in die staatliche Ordnung der Eins eingeschrieben würde, ist die Treue zu diesem letzten Endes nur dadurch definiert, Kampf gegen diejenigen zu sein, welche als seine Widersacher ausgemacht sind. Insofern Badiou das Auseinanderfallen von Subjekt und Objekt registriert, so spürt er diesem nicht nach, um deren Verhältnis auf den kritischen Begriff zu bringen; vielmehr will er eine unmittelbare Einheit der getrennten Momente durch die Handlung des Subjekts erzwingen, was er nur durch die Einverleibung und Zerstörung des Objekts erlangen kann. Demgemäß bezeichnet er sein Denken auch als axiomatisches, welches sich auf keinen Gegenstand außerhalb des Denkprozesses bezieht: es soll die reine Identität mit sich selbst darstellen. Da Denken aber gar nicht anders kann, als sich auf Außergedankliches zu beziehen und das Getrennte aufeinander zu beziehen, so ist Badious Philosophie kein Denken im emphatischen Sinne – oder genauer: Es ist der Versuch mittels des Denkens das Denken auszutreiben und durch unmittelbare Verfügung über das Objekt zu ersetzen. Die Sache steht der Badiouschen Methode nur noch als störender Inhalt gegenüber, der exorziert werden soll, womit das Denken zur selbstreferentiellen Tautologie und damit zur Gewalttat wird, die zur Praxis drängt.

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