Adrian Alban

Adrian Alban

Der Deserteur als Held

Zum Trauermarsch in Gustav Mahlers Fünfter Symphonie

Heft 13, Herbst 2018 Essay

Indem Mahler in diesem Trauermarsch vordergründig die formalen Forderungen der Gattung Trauermarsch erfüllt, ihren Ausdrucksgehalt aber unterläuft, kann sein Trauermarsch als eine Kritik an dieser Gattung und deren politischen Implikationen verstanden werden. Der Marschteil vertritt traditionell den pathetischen, heldenhaften Soldatentod für die Nation, der Trio-Teil den Trost, dass dieser Tod sinnvoll war. Anders aber Mahlers Trauermarsch: Der A Teil ist seltsam unheroisch: die Fanfare steht in Moll und bricht bald in sich zusammen. Der Marsch kommt nicht richtig in Bewegung, sie stockt. Das Marschthema ist nicht heroisch-pathetisch, sondern schwach, weinerlich, kreisend. Auch die Trios sind nicht tröstend. Die As-Dur-Episode des A-Teils verweist darauf, wie ein Trio, wie Trost aussehen könnte – ebenso wie das Liedzitat. Aber ein echtes Trio bleibt aus. Was bleibt ist das erste Trio (erster B Teil), das Gewalt, Angst, Panik, Raserei und Wildheit ausdrückt, und das zweite Trio (zweiter B Teil), das zwar anhebt wie ein Trio, sich mit seinem thematischen Material aber nicht etwa auf das vorangegangene Liedzitat aus »Nun will die Sonn’ so hell aufgeh’n« bezieht. Ein solcher Bezug böte die Möglichkeit, dem Liedtext gleich, mit dem (falschen) Trost der Affirmation der Allgemeinheit zu enden; so zu tun »als sei die Nacht kein Unglück gescheh’n.« Stattdessen ist das zweite Trio durchsetzt von thematischem Material des ersten Trios, trägt so dessen Gewalt in sich. Es wird nicht bewältigt oder aufgehoben und zu einem versöhnlichen Ende geführt, sondern gipfelt in dem dissonanten »Klagend«-Akkord. Auf Affirmation oder Trost wird verzichtet, Gewalt und Leid behalten das letzte Wort, Sinn bleibt aus. Was bleibt ist Klage angesichts des Leids. Der Trauermarsch in Mahlers Fünfter Symphonie erhebt Einspruch gegen die Gattungstradition mit ihrer Verklärung des Todes.

Adrian Alban

Treffen sich Schiller, Hegel und Adorno im Labor…

Zum Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik

Heft 11, Herbst 2017 Parataxis

Das Kunstwerk ist der blinde Fleck der empirischen Ästhetik. Empirische Ästhetik könnte eine Auseinandersetzung mit Kunst, gespeist aus der Erfahrung an Kunstwerken, sein; im Verständnis des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik ist sie bloß Ausweis von wissenschaftlicher Kunstferne und von Verarmung der Erfahrung. So verwundert es nicht, dass das Institut Kunst unter dem Aspekt der Warenästhetik betrachtet; letztlich kann es in Analogie zur Erforschung der Kunstrezeption auch die Aufmerksamkeitsspanne und Wertschätzung, die ein potenzieller Konsument für ein beliebiges Supermarktprodukt aufbringt, erforschen.

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