sans phrase - Zeitschrift für Ideologiekritik

Naturen. 3. Teil: Absoluter Geist und theologischer Vorbehalt

Gerhard Scheit | Parataxis | Heft 24, Sommer 2024

Wenn Fichtes Wissenschaftslehre aus dem Kantischen ›Ich denke‹, das alle meine Vorstellungen muss begleiten können, ein ›Ich existiere‹ macht, das als absolutes Subjekt sich selbst setzt und alles andere Existierende, damit auch die Natur, als das Nicht-Ich erst hervorbringt, so liegt darin letztlich eine mit den Begriffen der Kritik der reinen Vernunft formalisierte und verallgemeinerte Darstellung der Paranoia vor, einschließlich der Bedingungen der Möglichkeit pathischer Projektion. Das Wesen des absoluten Ichs ist damit die unendliche, unbeschränkte oder reine Tätigkeit. Alle endliche Tätigkeit ist nur als das Mittel der reinen Tätigkeit als Endzweck untergeordnet. Es kann seiner selbst als diese Kausalität nur bewusst sein, wenn es sich sein eigenes Nicht-Ich als Wider- und Gegenstand erschafft. Das ›Ding an sich‹ ist damit aber abgeschafft, und das absolute Ich nimmt alle nur denkbaren Züge einer Psychose an, die auf die narzisstische Kränkung durch jenes ›Ding an sich‹ zu reagieren nicht müde wird. Es gibt keine Dinge an sich, sondern nur für uns, damit wir an ihnen umzubildendes Material haben, sie sind nur, was wir aus ihnen gemacht haben bzw. machen sollen. Das absolute Ich vermag nur von dem Ding affiziert werden, das es sich selbst geschaffen hat, um eben davon affiziert zu werden und um es letztlich wieder zu überwinden, in sich zurückzunehmen: Politisch gesprochen, ist das absolute Ich der Staat, der den Staat im Staat bzw. den Weltmarkt überwindet, und zum geschlossenen Handelsstaat wird; ökonomisch gesprochen ist es die Arbeit, die den Gegenstand bzw. die Natur überwindet, sodass der Reichtum – wie im späteren Gothaer Programm der Sozialdemokratie – aus der Arbeit allein entsteht: Staat ohne Kapital, Arbeit ohne Natur.  Das ›Ding an sich‹, das bei Kant das Gemüt affiziert und die Ursache, aber nicht der Inhalt der sinnlichen Erfahrungen ist, ohne die das ›Ich denke‹ eine völlig leere Vorstellung bleiben muss, findet sich bei Fichte durchgestrichen und durch ein Nicht-Ich im Inneren des absoluten Ichs ersetzt – als bloßer Anstoß einer Produktion, die Natur und damit die teleologische Urteilskraft wie deren Kritik überflüssig macht.