sans phrase - Zeitschrift für Ideologiekritik

Provokation. Besprechung eines ungelesenen Buches. Teil II

Stanisław Lem | Parataxis | Heft 24, Sommer 2024

In einem totalitären Staat, in dem alles Menschliche verstaatlicht wurde, hatte nur die Führungsspitze das Recht, Opfer auszuwählen. In einem Staat mit großen persönlichen Freiheiten waren die selbsternannten Liquidatoren des Bösen frei darin, das Böse zu identifizieren und zu verfolgen. Diese Korrelation erklärt die Verwandtschaft beider Formationen – sie liegt in der Absolution, die sich die Mörder erteilen, denn der totale Gehorsam gegenüber Autoritäten schließt ebenso wie die totale Negation jeglichen Gehorsams das Gewissen aus, wenn es um die Prüfung der eigenen Taten geht. So gelangen beide auf verschiedenen Wegen zum identischen, blutigen Finale.

Exekutiv, aber nicht revolutionär orientiert, übernimmt der Terrorismus von der Linken nur das, was seinen Taten als ideologisches Feigenblatt dienen kann; ausgestrichen oder ausgelassen wird dagegen alles, was den Mord, sein Lebenselement, erschweren oder vereiteln könnte. Die Zukunft, der er Menschenopfer bringt, ist für ihn ebenso ein Transparent, das all seine Taten legalisiert, wie es die Vision des »Tausendjährigen Reichs« für den Nationalsozialismus war.